Wer ins Café Pflaster in Mönchengladbach kommt, riecht Kaffeeduft. Hier bekommen all jene, die sonst auf der Straße leben, ein Frühstück. Doch nicht nur das. Ab und zu gibt es tatsächlich ein Pflaster, denn Krankenschwestern und Streetworker besuchen die Wohnungslosen auch auf der Straße. Mit Hund und ihrem „Büro im Rucksack“ bieten sie Hilfe an.
Im Rucksack haben die Streetworker Tee und Flyer, die Krankenschwestern Handschuhe und Medizin. Immer gehen sie zu zweit die Szeneplätze in der Mönchengladbacher Innenstadt ab, wo sie die meisten Wohnungslosen antreffen. Der Hund und eine Tasse Tee sind oft der Einstieg ins Gespräch. „Die Krankenschwestern nehmen die Sozialarbeit mit“, sagt Brigitte Bloschak, Fachbereichsleiterin Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes Mönchengladbach. Sie haben einen anderen Zugang zu den Menschen, denn sie helfen ganz konkret bei körperlichen Beschwerden.
Ohne Vertrauen geht nichts und wenn‘s ein Jahr braucht
So hat Krankenschwester Manuela Brülls schon auf vielen Parkbänken Fäden aus Wunden gezogen, die sie meist provisorisch versorgt. Eigentlich müssten viele Wohnungslose ins Krankenhaus. Doch da wollen die meisten nicht hin. Aufgabe der Krankenpflege ist es, diese Menschen individuell an das medizinische Hilfesystem heranzuführen und zu begleiten. Viele unter ihnen leiden unter Fußerkrankungen, Abszessen, Zahnschmerzen – und derzeit unter Krätze. Vom Gesundheitsamt hat Manuela Brülls Restbestände einer Salbe bekommen, die hilft. In ihrer Not hätten Einzelne die Krätze schon mit Wodka behandelt, erzählt sie. Und sich jetzt doch der Krankenschwester anvertraut, geduscht, die Haut mit der Salbe behandelt und Kleidung und Schlafsäcke getauscht. „Alles geht über die Beziehung, nichts geht ohne Vertrauen“, betont die Krankenschwester.
Das gilt auch für die Streetworker, mit denen Manuela Brülls unterwegs ist. Auf die Frage, welche Kompetenzen man für die Arbeit brauche, sagt Sozialarbeiterin Heike Wegner: „Man muss was von Fußball verstehen, aber auch mit verhaltensauffälligen Menschen umgehen können.“ Sie hat schon Obdachlose erlebt, die ein Jahr nur zum Frühstück ins Café Pflaster gekommen sind und erst dann angefangen haben, mit ihr zu reden.
Bis zu 100 Personen kommen täglich ins Café Pflaster und in die Beratungsstelle. Hier können sie nicht nur frühstücken, sondern auch duschen, Wäsche waschen oder sich in der Kleiderkammer neue Kleidung besorgen. Das Team des Fachbereichs Wohnungslosenhilfe besteht aus 25 Mitarbeitenden. Zwei Streetworker, die eng mit den Drogenberatern zusammenarbeiten und auf der Straße unterwegs sind. Sozialarbeiter, die in der Beratungsstelle arbeiten, Krankenschwestern und Mitarbeitende in der Hauswirtschaft.
„Die Idee ist, von der Straße über das Café Pflaster, Zentrale Beratungsstelle und das ambulant betreute Wohnen den Weg in die eigene Wohnung zu finden“, erklärt Brigitte Bloschak. Die Leiterin hat mit ihrer Einrichtung ein gutes Netz geknüpft und arbeitet eng mit den Institutionen vor Ort, wie dem Gesundheitsamt, aber auch der Polizei, dem Ordnungsamt, Ärzten und anderen Fachdiensten in Mönchengladbach zusammen.
Vor 17 Jahren entstanden als Pilotprojekt
Entstanden ist das Café Pflaster vor 17 Jahren als ein dreijähriges Pilotprojekt des zuständigen NRW-Ministeriums. Danach hat die Stadt die Finanzierung übernommen. Doch sicher ist sie nicht. Immer wieder müsse ihre Einrichtung um die finanzielle Absicherung kämpfen, kritisiert Brigitte Bloschak.
Wie fast überall in Nordrhein-Westfalen ist auch in Mönchengladbach die diakonische Notunterbringung für Wohnungslose gut ausgelastet. Was mal als kurzfristige Überbrückung gedacht war, ist zum Dauerzustand geworden. Auf dem Wohnungsmarkt gibt es kaum noch kleinen, kostengünstigen Wohnraum. Landesweit ist die Zahl der wohnungslosen Menschen laut einem Bericht des NRW-Sozialministeriums um fast 60 Prozent auf über 25 000 gestiegen. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) schätzt sie, wohnungslose Flüchtlinge eingeschlossen, bundesweit auf 860 000.
Das Leben auf der Straße hat viel zu tun mit Geruch, Verwahrlosung, Leid, Distanzlosigkeit, Aggressivität und psychischen Auffälligkeiten. „Wir waschen erwachsene Männer“, sagt Krankenschwester Manuela Brülls. Bisweilen komme es ihr vor, als bräuchten manche eine Schicht um sich herum. Einige tragen über Monate die gleichen Klamotten und waschen sich nicht mehr. Sie habe auch mal eine Frau erlebt, die sechs Mäntel übereinander getragen habe, um sich zu schützen, erzählt Heike Wegner.
Zunehmend junge Leute kommen ins Café Pflaster
Bis solche Menschen wieder alleine in der eigenen Wohnung leben können, sei es ein weiter Weg, der begleitet werden müsse, betont die Sozialarbeiterin. Viele hätten verlernt, was es bedeute, in einem Mietshaus zu leben, Rücksicht auf den Nachbarn zu nehmen, regelmäßig den eigenen Briefkasten zu leeren, den Müll rauszutragen und die Stromrechnung zu bezahlen.
Es sind oft Brüche im Leben und der Verlust von Beziehungen, die dazu führen, dass Menschen auf der Straße landen. Auch viele junge Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihren Alltag gestalten sollen. Das erlebt Heike Wegner immer wieder. Manche sind verwöhnt, andere kommen aus zerfallenden Familien oder verstehen sich nicht mit dem neuen Partner der alleinerziehenden Mutter.
„Es ist schwer auszuhalten, dass zunehmend junge Leute im Café Pflaster sitzen“, sagt Wegner. Doch die Hoffnung auf ein besseres Leben für all jene, die Trost und Hilfe in ihrer Einrichtung suchen, gibt sie nicht auf. „Jeder Mensch hat einen Wert in dieser Leistungsgesellschaft“, betont Heike Wegner. „Das ist und bleibt unser diakonischer Anspruch.“