Es sei befreiend, sich rechtzeitig mit dem eigenen Tod und schwerer Krankheit auseinanderzusetzen, sagt Alena Buyx. Die Medizinethikerin appelliert an die Deutschen,Verantwortung für das eigene Wohlergehen zu übernehmen.
Alena Buyx (47), bis 2024 Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, wirbt für mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung von Patienten im Gesundheitswesen. “Ärztinnen und Ärzte sollten besser darin werden, auch die ethischen Fragen in die Behandlungen einzubeziehen. Zugleich aber müssen wir uns als Patientinnen und Patienten klarmachen, dass auch wir selbst alle eine Verantwortung dafür haben, was wie mit uns gemacht wird”, sagte die Medizinethikerin im Interview dem “Spiegel” (Samstag).
Als Beispiel verwies die Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München auf das Thema Einsamkeit. Sie sei heutzutage “eine echte Geißel der Menschheit und ein wichtiger und bisher ziemlich wenig erfasster Krankheitsfaktor”. Die moderne Welt fördere Einsamkeit: “Kneipen sterben, die Bindungskraft der Kirchen lässt nach, wir hängen lieber vor Netflix, als gemeinsam ins Kino zu gehen.” Die Lösung des Problems könne kein Staat oder Arzt liefern; jeder müsse selber Verantwortung übernehmen. “Um soziale Beziehungen muss man sich etwas kümmern. Vielleicht im Sportverein die Jugendlichen trainieren, Kartenspielrunde, Backkränzchen, Nachbarn, was auch immer. Das ist wichtiger, als vielen klar ist.”
Mit Blick auf die Alterung der Gesellschaft forderte die Medizinethikerin, die Menschen sollten Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen für den Fall schwerer Krankheiten erstellen. Ärztinnen und Ärzte sollten die Überzeugungen ihrer Patienten kennen. “Die Gesellschaft ist in einem Maß vielfältig geworden, dass wir eben nicht mehr davon ausgehen können, dass es einheitliche moralische Maßstäbe der Lebensführung für alle gibt.”
Eine Studie von 2024 zeige, dass beinahe elf Prozent der Deutschen unter künstlicher Beatmung stürben. “Da hoffe ich einfach, dass Menschen sich zukünftig häufiger Gedanken machen, ob sie das wirklich wollen: tage-, monate- oder jahrelang vor dem Tod künstlich beatmet zu werden.” Buyx warb zugleich dafür, im Freundes- und Bekanntenkreis offener darüber zu sprechen, was in einer Patientenverfügung stehen soll. “Vielleicht geht das nicht beim ersten, aber manchmal durchaus beim zweiten Glas Wein, das können sehr gute Gespräche sein.”
Auf die Frage, ob sie aktive Sterbehilfe befürworte, äußerte sich die Medizinethikerin differenziert. Ethisch halte sie diese Form der Lebensbeendigung für begründbar. Dennoch sei sie dagegen, sie einzuführen: “Wir sehen, dass in den Ländern, die sich für aktive Sterbehilfe entschieden haben, die Zahlen derjenigen gerade steigen, die sie in Anspruch nehmen. Man muss sich fragen, woran das liegt.” Möglicherweise fühlten sich kranke Leute unter Druck gesetzt, der Gesellschaft oder ihrer Familie nicht zur Last zu fallen. Und solange solche empirischen Fragen offen sind, rate ich davon ab, aktive Sterbehilfe einzuführen.”