Vor dem Hintergrund des Plagiatsverdachts gegen die „Süddeutsche Zeitung“-Vizechefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid warnt der Medienethiker Christian Schicha vor verfrühten Schlüssen. Zunächst müsse die von der Zeitung beauftragte Kommission herausfinden, wie es zu den angeblich abgeschriebenen Passagen in den journalistischen Texten kam, sagte der Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg dem Evangelischen Pressdienst (epd). „Hat sie nicht korrekt gearbeitet oder war sie unter Druck? Bis zum Ergebnis gilt für mich die Unschuldsvermutung.“
Schicha betonte: „Fehler können passieren.“ Wichtig sei, dass die zuständigen Medien klärten, wie es dazu kommen konnte, um weitere Fehler zu vermeiden. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an den „Fall Relotius“ beim „Spiegel“. Nachdem die gefälschten Artikel von Claas Relotius bekannt geworden waren, hatte der „Spiegel“ in der Folge eine Ombudsstelle eingerichtet, die Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten in der Berichterstattung nachgehen soll.
Trotz Beschleunigungen etwa durch Künstliche Intelligenz (KI) und Social Media sowie wachsendem Konkurrenzdruck sollten vor allem die Qualitätsmedien besser zweimal Quellen und Umstände eines Ereignisses prüfen, bevor sie etwas veröffentlichten, sagte Schicha. Eine voreilige Berichterstattung, die sich im Nachhinein als unwahr herausstellt, könne die Reputation von Zeitungen und Sendern nachhaltig beschädigen und böte den „Lügenpresse“-Rufern lediglich Futter. „Schnelle Vermutungen sollten das Feld des Boulevards bleiben“, sagte Schicha.
Eine Tendenz zu nachlässigen Quellenangaben in den Medien auch durch den Einsatz von KI in den Redaktionen sieht Schicha nicht. Wichtig sei, dass die Medien transparent damit umgingen, wenn sie KI etwa für Meldungen oder Hintergrundstücke verwendeten. Dann könnten die Nutzer selbst entscheiden, ob sie der KI glaubten – oder lieber auf Medien setzten, die klassisch recherchierten.
Werde das KI-Programm aber nicht kenntlich gemacht, sei das „ein klarer Verstoß gegen die journalistischen Standards“, sagte der Medienethiker. Denn nach wie vor hätten die Leserinnen und Nutzer einen Anspruch darauf, dass die Medien nach bestem Wissen und Gewissen berichteten.