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MDR zeigt Doku über die selten beleuchtete Minderheit der Sorben

Regisseurin Grit Lemke erforscht ihre sorbischen Wurzeln und das Wiederaufleben von sorbischer Kultur und Sprache in der Lausitz. Entstanden ist ein sehr persönlicher Dokumentarfilm.

Wer heute in Cottbus, der größten Stadt der Niederlausitz, spazieren geht, wird womöglich erstaunt sein, dass alle Straßennamen oder auch das Rathaus zweisprachig beschildert sind. Die Lausitz ist die Heimat der Sorben, des mit etwa 60.000 Menschen kleinsten slawischen Volkes.

Vor etwa 1.400 Jahren ließen sie sich zwischen Elbe und Oder nieder, bevor sie im 12. Jahrhundert von den Sachsen christianisiert wurden; auch Theodor Fontane hat dies in seinen “Wanderungen durch die Mark Brandenburg” beschrieben. In den folgenden Jahrhunderten wurden die Sorben immer mehr gen Osten getrieben und schließlich – vor allem im Deutschen Kaiserreich und verstärkt während des Nationalsozialismus – gnadenlos germanisiert.

“Bei uns heißt sie Hanka” ist nun der erste dokumentarische Kinofilm über und mit Sorben, in dem Regisseurin Grit Lemke auch ihre eigene sorbische Identität erkundet. Der MDR zeigt ihn am 7. Juni um 22.00 Uhr. Dass sie sorbische Wurzeln hat, wusste Lemke lange nicht. Obwohl die Sorben, die man früher Wenden nannte, in der DDR als ethnische Minderheit anerkannt waren, tat man dort nicht viel, um ihre Kultur zu erhalten; ihre Sprache war quasi ausgestorben. Lemke, die aus dem Off durch den Film führt, erinnert an ihre sorbische Großmutter, die nur noch einen Zahn hatte und ein eigenartiges Deutsch sprach: Umlaute kamen darin nicht vor, das “R” wurde gerollt und alles doppelt negiert.

Doch weil alles, was sie über Sorben erfuhr, negativ aufgeladen war, stellte Lemke als Kind keinen Zusammenhang zwischen Sorben und ihrer Familie her. Sorben nahm sie von Weitem als Menschen wahr, die in altmodischen Trachten tanzten und irgendwie irreal wirkten. Sprüche wie “Lauf nicht rum wie eine Wend’sche Hanka” hörte sie in ihrer Jugend zuhauf. Sorben wurden mit Schmutz und Rückständigkeit assoziiert.

Ähnlich erging es vielen Protagonistinnen und Protagonisten des Films, die eher zufällig von ihren Wurzeln erfuhren. Martin etwa ist Fan des Fußballclubs Energie Cottbus und war früher deutschnational – bis er von der sorbischen Identität seines Großvaters erfuhr. Seither hat sich seine politische Gesinnung radikal gewandelt.

Viel Zeit verbringt der Film auch mit der Familie Wjesela auf dem Lande. Vor allem der junge Bauer Ignac, dessen Hochzeitsfeier im Film gezeigt wird, lebt seine sorbische Identität bewusst, fast offensiv aus. So entsteht der Eindruck, dass die Unterdrückung, die seinem Volk einst widerfuhr, mitunter in sorbischen Nationalismus umschlägt. Das wirkt allerdings ziemlich gewollt.

Dabei macht der Film doch auch klar, wie sehr Identitäten einander überlappen, dass nationales Empfinden vielschichtig sein kann und dass man zwei Sprachen und Kulturen nebeneinander pflegen kann. Bei ihren Ausführungen blendet Lemke auch die vielfältigen Landschaften der Lausitz ein: Während im industrialisierten Norden die ehemaligen Braunkohlereviere und rauchende Fabrikschornsteine dominieren, erblickt man in südlicheren Regionen malerische Dörfer mit kleinen katholischen Kirchen.

Die junge sorbische Künstlerin Hella Stoleckojc/Hella Stoletzki bezieht soziale Themen und Diversität in ihre Kunst und ihre Interpretation von Sorbischsein mit ein, wehrt sich gegen Exotisierung oder Klischees. Sie und ihre Freundinnen und Freunde rappen auf Sorbisch und feiern ihre Auftritte zweisprachig: Um zu überleben und um nicht auf Folklore reduziert zu werden, müsse sich eine Kultur ihrer Zeit anpassen.

Lemke verzichtet im Film auf übergreifende historische Exkurse, eine genaue topografische Einordnung oder eine Erklärung dazu, wie sich Ober- und Niedersorbisch unterscheiden. Sie lässt sich von ihren eigenen sowie den Emotionen ihrer Protagonistinnen und Protagonisten leiten, und das gibt dem Film eine anrührende persönliche Note.

In Videoaufnahmen aus den 1990er-Jahren sieht man sorbische Dorfbewohnerinnen; Fotoalben erweisen sich als wertvolle Dokumente sorbischer Kultur. Dank ihnen ist es möglich, manche spezifische Trachten wiederherzustellen – andere sind für immer verloren. Schließlich formuliert Grit Lemke/Grit Lemkowa ein Fazit: Manche lernen eine Sprache, um das Fremde zu verstehen – manche, um sich selbst zu verstehen.