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Marx zu Missbrauch: Haben uns an Leitlinien orientiert

Ein Gutachten hat bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Bistum Trier auch Versäumnisse des früheren Trierer Bischofs und heutigen Münchner Erzbischofs Kardinal Reinhard Marx festgestellt. Für Marx’ Amtszeit von 2002 bis 2008 monieren die Forscher in dem am Donnerstag in Trier vorgestellten Bericht eine mangelnde Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden bei Fällen sexualisierter Gewalt, eine „pastorale Milde“ im Umgang mit Tätern aus der Kirche und eine wenig ausgeprägte Betroffenenfürsorge. Marx gab am Nachmittag eine Erklärung ab.

Die Staatsanwaltschaft sei in Marx’ Amtszeit in keinem einzigen „Neufall“ vom Bistum informiert worden. Nur in zwei dokumentierten Fällen sei Betroffenen konkrete Hilfe angeboten worden. In vier von zwölf Fällen sexualisierter Gewalt hätten die Meldungen keine Konsequenzen für die Beschuldigten gehabt, heißt es in dem dritten Zwischenbericht des Forschungsprojekts zum sexuellen Missbrauch im Bistum Trier von 1946 bis 2021.

„Deutlich wird in erster Linie, dass es lange Zeit kein schematisches Vorgehen, sondern eine Einzelfallprüfung gegeben hat, die zu einem nicht selten nachsichtigen Umgang mit den Beschuldigten führte“, erläuterte die Historikerin Lena Haase bei der Vorstellung der Studie. In einem Lernprozess innerhalb des Bistums sei aber nach und nach erkannt worden, dass die Missbrauchsfälle keine Einzelfälle gewesen seien, sondern struktureller Natur.

Der untersuchte Zeitraum von 2002 bis 2021 umfasst große Teile der Amtszeit des Trierer Bischofs Stephan Ackermann (seit 2009) und Marx’ Amtszeit (2002-2008), der von 2014 bis 2020 auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz war. Für 2002 bis 2021 ermittelten die Forscher der Universität Trier 59 von Missbrauch betroffene Minderjährige und schutzbefohlene Erwachsene. Zudem wurden und 37 Beschuldigte ermittelt.

Der Münchner Erzbischof betonte in einer am Donnerstag verbreiteten Erklärung, da er keinen Zugang zum Archivmaterial seiner Trierer Amtszeit habe, könne er seinen Beitrag zur Aufarbeitung „nur aufgrund seiner Erinnerung“ leisten. Er teilte mit, ihm sei nicht erinnerlich, dass ihn Betroffene in Trier um ein persönliches Gespräch gebeten hätten. Er könne sich aber täuschen, weil „wir alle, auch ich“ damals nicht ausreichend sensibel gewesen seien.

Laut Marx gaben die Leitlinien von 2002 vor, Beschuldigte zur Selbstanzeige zu bewegen: „Im Rückblick ist klar, dass das keine angemessene Vorgehensweise war.“ Zudem hielten die Leitlinien fest, dass es ohne forensisches Gutachten keinen pastoralen Einsatz von Missbrauchsbeschuldigten geben könne. Er sei davon ausgegangen, dass entsprechend gehandelt werde, jedoch sei dies wohl nicht im Blick auf „Altfälle“ geschehen. Bei Sanktionierungen seien präzise Auflagen damals sicher noch unzureichend gewesen.

Marx sagte, es schmerze ihn zu erkennen, in seiner Verantwortung als Trierer Bischof „nicht allen Menschen gerecht geworden zu sein“, die seiner Sorge anvertraut waren. Er habe gelernt, dass das „Verfahren zur Anerkennung des Leids“ nicht ausreiche: Wichtig sei, immer wieder neu Möglichkeiten der Begegnung anzubieten. In seiner Amtszeit in München hätten Betroffene in persönlichen Gesprächen seinen Blick für das Versagen der Institution geschärft. Die Bemühungen um Aufarbeitung und Prävention hätten vieles verbessert. Das, was ihn 2021 dazu bewogen habe, Papst Franziskus seinen Amtsverzicht anzubieten, gelte nach wie vor. Damals wollte Marx Mitverantwortung für die „Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche“ übernehmen.

Ihm sei deutlich geworden, dass er als Bischof von Trier die Thematik sexualisierter Gewalt nicht umfassend wahrgenommen habe, sagte der Erzbischof: „Mit dem Wissen von heute würde ich natürlich manches anders machen, und wir handeln ja auch heute anders.“ Er bat die betroffenen Menschen um Verzeihung.

Die 2022 gestartete Untersuchung basiert den Angaben zufolge auf 1.279 ausgewerteten Aktenbänden und 30 Gesprächen mit Betroffenen sowie Zeitzeugen – darunter auch Marx und Ackermann. Für den Gesamtzeitraum der Studie seien bislang etwa 250 Beschuldigte identifiziert worden, schreiben die Autoren. Etwa 730 Menschen seien bislang als Betroffene bekannt. (3407/30.10.2025)