Dokumentarfilm über das Wohnviertel Dafen in der südchinesischen Millionenstadt Shenzhen, wo das Nachmalen berühmter Ölgemälde zum wichtigen Industriezweig geworden ist.
An der Außenwand eines Wohnhauses hängt Jacques-Louis Davids berühmtes Napoleon-Gemälde, lediglich eine wackelige Markise schützt Bonaparte vor dem wüst herabprasselnden Regen. Von einer Zimmerdecke blickt Seurats “Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte” hinter einem Ventilator hervor. Van Gogh füllt eine ganze Wand, als wären Sonnenblumen und Selbstporträts kaum mehr als Tapete. Das Wohnviertel Dafen, Teil der südchinesischen Millionenstadt Shenzhen, ist voll Chagall, Pissarro und Rembrandt – ein Überfluss der Bilder.
Denn der kleine Ort ist eine Hochburg der Ölmalerei. In den vielen kleinen Werkstätten und Garagen fertigen geschickte Hände Imitationen von Großmeistern für den internationalen Export an. Im Ölgemälde-Supermarkt gibt es sogar Kunst zum Kilopreis wie Wurst von der Fleischtheke. Zwei Kilo Manet bitte, und haben Sie vielleicht noch etwas vom Waterhouse da?
Der Dokumentarfilm “Manche mögen’s falsch” von Stanislaw Mucha porträtiert Dafen und seine vielen Künstler. Visuell interessiert sich der polnische Regisseur vor allem für das Nebeneinander von Mensch und Kunst. Für die Alltäglichkeit des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, für Imitation als Akt der Liebe, für die Gleichzeitigkeit von vergänglichen, menschlichen Körpern und ewiger Idee gewordenem Werk.
“Beltracchi – Die Kunst der Fälschung”, “Un vrai faussaire”, “Art and Craft”, vielleicht auch noch “Tim’s Vermeer” – die Fälscher-Dokus der vergangenen Jahre haben primär von verschmitzten Individual-Genies erzählt. Verhinderte Großkünstler auf Abwegen, denen man nie so recht böse sein kann, wenn sie pompöse Kritiker und gierige Sammler hinters Licht führen.
“Manche mögen’s falsch” rückt zwar eine überschaubare Menge an Figuren ins Zentrum, handelt aber eher von Kunst-Imitation als Gemeinschaftsarbeit. Vielleicht wie in Warhols verschiedenen “Factorys”: Es geht um eine kollektive Anstrengung, um die Nachahmung als Menschheitskonstante und empathischer Akt, um Massenfabrikation.
Der Regisseur und sein Team haben Gespräche mit den Anwohnern geführt und setzen Stadtaufnahmen und Interview-Szenen zur Historie von Dafen zusammen. Am Anfang dieser Geschichte steht Huang Jiang, ein Unternehmer, der nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes stand. Sein Klingelton, der gleich mehrfach während der Gespräche losgeht: Nino Rotas Thema für “Der Pate”. Er gründete 1989 die erste Werkstatt zum Kopieren bekannter Kunstwerke.
Man begegnet in dem Film auch erfolgreichen Nachmalern wie Liu und Joe, für die die Arbeit angenehmer und lukrativer ist als einer der vielen Fabrikjobs. Oder der Meisterin Fu, die erst mit Originalen scheitert, dann aber mit Kopien Erfolge feiert und Preise gewinnt. Außerdem “Chinas Van Gogh” Zhao und seiner Tochter. Sie alle erzählen von ihrer Liebe zu den Künstlern, von früheren Berufen, von persönlichen Erfahrungen und Beziehungen.
Mit Einstellungen, in denen Gemälde-Imitationen mit eingeblendetem Marktpreis gezeigt werden, verwandelt sich der Film zeitweise in einen Ausstellungskatalog. 50 Euro für Gerhard Richters “Licht”, ein Lucian Freud für 200, ein Rembrandt für 1000. Es geht hier, das wird nicht vergessen, auch um Geld. Dafen ist eine bunt gefärbte Grauzone, künstlerisch, moralisch und juristisch.
Natürlich erwartet man bis zuletzt eine Hinwendung zum größten Hype der Gegenwart, also zum Thema Künstliche Intelligenz. Eine Abwesenheit, die den Film strukturiert. Denn auch die neue Hegemonie von ChatGPT und Co. führt zu einem Überfluss an Bildern und anderen Imitationen. Kritiker bezeichnen sie schon länger als “Maschinen für Urheberrechtsverletzung”.
Der Film zeigt Menschen, die Bilder herstellen, und ihre Handarbeit wird besonders hervorgehoben. Pinsel streichen sanft, vielleicht sogar liebevoll, über schon aufgetragene Farbschichten. Immer wieder werden Aufnahmen vom Straßenleben gezeigt, vom blühenden, tobenden Gewusel rund um Sisley, Vermeer und Dali. So wird ausgerechnet die Fälscherstadt zum letzten Gallier-Dorf der Realität, womöglich ein letztes analoges Aufbäumen wider eine digitalisierte Welt.
“Manche mögen’s falsch” ist jedoch kein übermäßig ambitionierter Film, der die Fälscherstadt als Sprungbrett in die Kunstgeschichte, unsere technologisch multiplizierte Gegenwart oder Virtualitätsdiskurse gebraucht. Bis auf eine knappe Passage über Walter Benjamins “Kunstwerk”-Aufsatz entscheidet sich der Film gegen einen theoretischen Unterbau.
Wenn man an Zhao, den “chinesischen Van Gogh” denkt, der seine Gemälde sogar mit “Vincent” unterschreibt, fühlt man sich vielleicht an das Ende von Ray Bradburys Roman “Fahrenheit 451” erinnert. Dort verwandeln sich Menschen in einer dystopischen Welt voll von Bücherverbrennungen schließlich selbst in Medien, indem sie die Texte in ihren Köpfen vor den Flammen bewahren. Sie imitieren, um zu retten. Was soll der prasselnde Regen Napoleon anhaben, solange noch jemand David im Herzen trägt?