Ältere Frauen sitzen an einem kleinen Tisch und schnippeln Gemüse. Reis köchelt auf dem Holzfeuer in einem großen Topf. Mindestens 80 Leute sollen nachher im Tageszentrum für Senioren in Kibera satt werden. Jeden Dienstag gibt es hier, in einem der ärmsten Stadtteile der kenianischen Hauptstadt Nairobi, kostenloses Mittagessen.
Im Laufe des Vormittags kommen nach und nach immer mehr alte Männer und Frauen an. Wambua Kasuva macht einen Abstecher ins Büro. „Mein Mädchen, hier bin ich“, begrüßt der 89-Jährige Agnes Kariuki. Sie hat das „Kibera Day Care Center for the Elderly“ vor vielen Jahren gegründet und leitet es bis heute. Kasuva will wissen, ob sie Geld auftreiben konnte, damit er zum Arzt gehen kann. Doch das ist nicht der Fall.
Etwas nach hinten versetzt befindet sich eine Konstruktion aus Holz und Blech, 80 blaue Plastikstühle stehen darin, weiße und lilafarbene Stoffstreifen zieren die Wände. Kasuva gesellt sich zu den anderen Senioren. Er ist froh, diesen Ort zu haben, wo er in Ruhe sein kann und ihm jemand zuhört. „Einsamkeit und Isolation sind ein großes Problem“, sagt Agnes Kariuki, die viele nur „Mama Agnes“ nennen.
1989 hat die heute 63-Jährige angefangen, sich um alte Menschen in ihrer Umgebung zu kümmern. Damals arbeitete sie für eine Organisation, die sich für eine bessere Wasserversorgung in Kibera einsetzt, dem größten Slum Nairobis. Seit 2000 widmet sie sich ganz ihrem Ziel, dass alte Menschen in Kenia mehr gesehen und besser versorgt werden.
Etwa sechs Prozent der kenianischen Bevölkerung sind 60 Jahre oder älter, also im offiziellen Ruhestandsalter. Das sind rund 2,8 Millionen Menschen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird sich die Zahl bis 2050 mehr als verdoppeln. Die Lebenserwartung steigt, aktuell liegt sie bei 66 Jahren. Doch Ruhestand und Rente sind für viele Menschen ein Fremdwort. Vier von fünf Kenianern und Kenianerinnen arbeiten im informellen Sektor – und zwar so lange, bis sie nicht mehr können.
Auch Wambua Kasuva geht es so. Er war früher Schreiner und verkauft noch immer Kochlöffel, Zuckerdosen und Kerzenhalter aus Holz. Das Arbeiten fällt ihm schwer. „Siehst du?“, fragt er und hält seine Hände hoch, die von Arthritis versteift und gekrümmt sind. Die Diagnose hat er bekommen, doch die Medikamente kann er sich nicht regelmäßig leisten, die Kontrolluntersuchungen beim Spezialisten auch nicht. „Meine Kinder frage ich gar nicht, die haben auch keine Jobs und kein Geld. Keiner denkt an uns.“
Im Seniorenzentrum beginnt dienstags um kurz nach elf das Programm – mit Gymnastik. Arme hoch, Hände schütteln, wieder runter. Die Hüften kreisen lassen. „So, jetzt ganz nach unten beugen“ – kollektives Seufzen erfüllt den Raum. Dann singen sie gemeinsam, beten für die Kranken und danken Gott für das, was sie noch können. Und für Mama Agnes.
Die versucht stets, Einnahmequellen für das Zentrum zu finden, vor allem finanziert sie es aber durch Spenden. Immer mal wieder konnte sie in den vergangenen Jahren Förderungen von größeren Organisationen wie HelpAge an Land ziehen. Dann hatte sie auch ein regelmäßiges Gehalt. Die pensionierte Lehrerin Alice, die montagnachmittags lesen, schreiben und rechnen unterrichtet, arbeitet ehrenamtlich, so wie alle anderen Helferinnen und Helfer auch.
Nach der Gymnastik tragen zwei alte Herren in Anzugjacke die großen Blechtöpfe in den Saal. Jeder bekommt Reis und Bohnengemüseeintopf auf einem bunten Plastikteller. Manche Senioren haben Dosen dabei und essen nur ein bisschen, den Rest nehmen sie mit nach Hause. Viele müssen nicht nur sich selbst, sondern auch noch Enkelkinder versorgen, die bei ihnen leben.
Als eines der wenigen Länder auf dem afrikanischen Kontinent baut Kenia derzeit ein Sozialsystem auf, das die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft versorgen soll. „Inua Jamii“, Suaheli für „die Gemeinschaft stärken“, heißt das Programm, das es seit 2018 gibt. Jetzt hat jeder, der über 70 ist und nicht für die Regierung gearbeitet hat, ein Recht auf 2.000 Kenianische Schilling im Monat, umgerechnet etwa 15 Euro. Rund 800.000 Menschen sind bereits registriert. Doch von dem Geld kann der frühere Schreiner Kasuva nicht mal die Miete in Kibera bezahlen.
Agnes Kariuki kennt jeden Winkel des Slums. Jeden Donnerstag besucht sie bettlägerige Seniorinnen und Senioren. Trotz ihres eigenen Alters denkt sie nicht daran aufzuhören. Vor allem politisch will sie noch viel erreichen. Wenn es nach ihr geht, sollte die monatliche Unterstützung schnellstens auf 5.000 Schilling angehoben werden und auch für alle ab 65 Jahren gelten. „Wir wollen bessere Gesetze, auf die wir die Regierung dann verklagen können, wenn es sein muss.“