Artikel teilen:

Macht das Geschlecht einen Unterschied?

Erziehen Männer anders als Frauen? Eine neue „Tandem-Studie“ der Evangelischen Hochschule Dresden gibt wissenschaftlich fundierte Einblicke in das Verhalten von Erzieherinnen und Erziehern in Kindertagesstätten

René Deutscher

Die Evangelische Hochschule Dresden hat eine wissenschaftliche Studie zum Erziehungsverhalten von männlichen und weiblichen Fachkräften in Kindertagesstätten durchgeführt. Es ging dabei um einen Geschlechtervergleich hinsichtlich wesentlicher Aspekte pädagogischer Arbeit. Bislang gab es hierzu in der Forschung nur Befragungen oder Studien mit einem geringen Männeranteil.
Innovativ an dieser Studie ist zum einen das experimentelle Design mit unterschiedlichen Materialien. Zum anderen ermöglichte eine Tandem-Konstruktion, Männer und Frauen zu vergleichen, die in denselben Einrichtungen unter gleichen Bedingungen und mit denselben Kindern arbeiten. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich männliche und weibliche Fachkräfte in ihrem Umgang mit den Kindern nicht unterscheiden. Sowohl hinsichtlich Einfühlsamkeit, Herausforderung, dialogischer Interaktion, Art der Kooperation sowie Inhalten der Kommunikation ergeben sich keine signifikanten Unterschiede.
Aber: Männliche und weibliche Fachkräfte gehen mit Mädchen anders um als mit Jungen.
Sie sprechen Jungen eher sachlich-funktional an, während sie Mädchen häufiger auf einer persönlichen Ebene begegnen. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der Materialien und Themen, die in der Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern bevorzugt werden: Deutlich signifikant ist, dass in der Interaktion zwischen Frauen und Mädchen aus den angebotenen Materialien zumeist „Subjekte“ (wie menschen- oder tierähnliche Figuren) entstehen, in der Interaktion zwischen Männern und Jungen dagegen häufig „Objekte“ (wie Häuser oder Autos).
Aus der Studie ergibt sich, dass sich männliche und weibliche Fachkräfte in der pädagogischen Qualität ihrer Arbeit nicht unterscheiden. Sie stehen Geschlechter­stereotypen zumeist gleichermaßen kritisch gegenüber. Aber im alltäglichen Handeln folgen sie bei der Auswahl von Themen und Materialien häufig geschlechtsspezifischen Neigungen. In der Interaktion mit den Kindern nehmen sie durchaus geschlechtsstereotype Zuschreibungen vor.
Aus diesen Befunden lässt sich schlussfolgern, dass mehr männliche Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen durchaus dazu beitragen können, neue Angebotsräume für die Kinder zu eröffnen. Dies führt aber nicht automatisch zur Überwindung geschlechtstypischer Strukturierungen im Kita-Alltag und damit verbundener möglicher Benachteiligungen von Jungen oder Mädchen. Es bleibt die Herausforderung an die Teams in den Einrichtungen, sich weiter kritisch zu reflektieren, um nicht unbeabsichtigt Geschlechterklischees zu verfestigen.
Ausführlicher dargestellt und diskutiert finden sich die Ergebnisse der Tandem-Studie in dem Buch: „Macht das Geschlecht einen Unterschied?“ im Verlag Barbara Budrich.

Holger Brandes ist Professor für Psychologie an der Evangelischen Hochschule Dresden mit dem Forschungsschwerpunkt „Geschlechtsunterschiede in professioneller Pädagogik“.