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Lohnfortzahlung bei Krankheit steht immer wieder in der Kritik

Damit bei Krankheit oder Unfall nicht gleich Lohneinbußen drohen, gibt es seit 1970 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle Arbeitnehmer. Immer wieder wird diskutiert, ob die Deutschen deshalb zu viel blaumachen.

Krankfeiern, blaumachen, Drückeberger: Solche Wortschöpfungen zeigen, dass Arbeitnehmer, die wegen Krankheit nicht am Arbeitsplatz erscheinen, bisweilen unter Täuschungsverdacht stehen. Immer wieder flammt deshalb die Debatte darüber auf, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken. Die Katholische Nachrichten-Agentur nennt wichtige Daten und Fakten.

Allianz-Chef Oliver Bäte hat vorgeschlagen, die Arbeitnehmer sollten die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen. Hintergrund sind zuletzt stark gestiegene Krankheitstage und eine Debatte über den Wirtschaftsstandort Deutschland. Vertreter aus Parteien und Wirtschaft haben beklagt, dass die Deutschen zu wenig leistungsbereit seien. “Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen”, sagte Bäte dem “Handelsblatt”. Bereits im Dezember hatte die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, vorgeschlagen, Karenztage zu prüfen.

Arbeitnehmer in Deutschland erhalten vom ersten Tag einer Erkrankung volle Lohnfortzahlung. Sie müssen ab dem vierten Tag eine Krankschreibung des Arztes vorlegen. Der Arbeitgeber zahlt dann sechs Wochen lang 100 Prozent des Gehalts aus. Danach zahlt die Krankenkasse 70 Prozent des Lohns als Krankengeld.

Angestellte erhielten schon in den 50er Jahren eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Arbeiter erhielten ein deutlich geringeres Krankengeld – und in den ersten drei Tagen ihrer Krankheit gar nichts. 1956/57 erkämpfte die IG Metall dann in einem 16-wöchigen Streik der Werftarbeiter in Schleswig-Holstein die tarifvertraglich geregelte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter – einer der härtesten Arbeitskämpfe der Nachkriegsgeschichte. Dabei zahlte die Krankenkasse 90 Prozent vom letzten Nettolohn. Unternehmen und Betriebe mussten das Krankengeld auf 100 Prozent aufstocken.

Die volle gesetzliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfall trat schließlich 1970 in Kraft. Seitdem sind die Arbeitgeber – durch Gesetz und Tarifverträge – überall in der Pflicht. Das hinderte allerdings die Regierung Kohl Mitte der 90er Jahre nicht, unter Verweis auf hohe Einheitskosten und schlechte Wirtschaftsdaten ein bis zwei Karenztage oder die gesetzliche Kürzung der Lohnfortzahlung von 100 auf 80 Prozent zu fordern. Bundesweit gab es Demonstrationen gegen das Gesetz. 1998 war eine der ersten Amtshandlungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum Start der rot-grünen Regierung, die volle Lohnfortzahlung wieder gesetzlich festzuschreiben.

2023 waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krank gemeldet. Das bedeutete einen Anstieg gegenüber 2021 um vier Krankheitstage. 2007 gab es die niedrigsten Fehlzeiten seit 1991, nämlich 8,1 Krankentage. Bis 2016 war dann ein moderater Anstieg der Krankheitstage zu beobachten, gefolgt von einer kleinen Delle in den Jahren 2017 und 2018. Seit 2019 sind die Krankheitstage wieder angestiegen.

Die Krankmeldungen kletterten laut einer Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) bei den eigenen Versicherten in den ersten 11 Monaten 2024 auf ein Rekordhoch. Sie waren 17,7 Tage krankgeschrieben.

Die Krankenkasse DAK hat am Dienstag eine ehrliche Analyse der Rekordwerte gefordert. Nach ihren Angaben geht der Anstieg vor allem auf statistische Effekte durch ein neues elektronisches Meldeverfahren zurück. Spätestens seit Anfang 2022 gehen Krankschreibungen von den Arztpraxen direkt an die Krankenkassen. Sie müssen nicht mehr von den Versicherten selbst eingereicht werden – was viele versäumt haben. Laut DAK-Studie beträgt dieser Meldeeffekt – je nach Diagnose – rund 60 Prozent und mehr der zusätzlichen Fehltage. Ein Drittel des Anstiegs ergibt sich seit 2022 zudem durch verstärkte Erkältungswellen und Corona-Infektionen.

Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, spricht von einer “wachsenden Misstrauenskultur in der Arbeitswelt”, die eingedämmt werden müsse. “Unsere Studie zeigt, dass weder die telefonische Krankschreibung noch das Blaumachen die wirklichen Gründe für den sprunghaften Anstieg sind.” Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, bestätigte am Dienstag, dass nicht häufiges Blaumachen der Grund für gestiegene Krankmeldungen sei, sondern es seien die neue digitale Krankmeldung und verstärkte Infektionen. Auch die Krankschreibung per Telefon hat laut Bundesärztekammer kaum Auswirkungen auf die höheren Krankheitsstände.

Die FDP hat am Mittwoch in einem Positionspapier vorgeschlagen, dass Arbeitgeber ihren Angestellten für jeden Kalendermonat ohne Krankmeldung eine Bonuszahlung gewähren könnten. Anreizmodelle seien besser geeignet, als sofort Lohnkürzungen in Betracht zu ziehen.

Unter anderen hat sich Ärztepräsident Klaus Reinhardt offen dafür gezeigt, dass Beschäftigte bei leichteren Erkrankungen oder Verletzungen auch Teilzeit-Krankschreibungen bekommen könnten – also Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für einige Stunden am Tag. Der Chef der Bundesärztekammer verweist auf eine stark veränderte Arbeitswelt, insbesondere durch die Digitalisierung und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Trotzdem werde im Gesundheitswesen weiterhin nur grundsätzlich zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit unterschieden. “Eine praktikable Form von Teilzeit-Krankschreibung für einige Stunden täglich könnte den neuen Möglichkeiten Rechnung tragen und für mehr Flexibilität sorgen.”