Literaturklassiker sind hochaktuell. Schillers “Wilhelm Tell” zeige etwas über den Umgang mit Tyrannen, während Goethes Faust II die Klima- und Finanzkrise vorwegnehme, so die Direktorin des Deutschen Literaturarchivs.
Ob Goethe, Schiller oder Lessing: Klassische Literatur muss nach Ansicht der Direktorin des Deutschen Literaturarchivs (DLA), Sandra Richter, zwingend in den Schulen gelesen werden. “Literatur ist nichts Altes, Abgelegtes und Verzopftes, sondern etwas, was uns unmittelbar ansprechen kann”, sagte Richter am Freitag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Marbach. Am Montag startet das Deutsche Literaturarchiv eine Bildungsinitiative. Unter dem Motto “Literatur bildet” will es etwa mit Workshops für das geschriebene Wort werben.
Bei den Klassikern handele es sich um Texte, die auch heute noch Aktualität hätten, betonte Richter. So zeige Schillers “Wilhelm Tell” Lehrreiches über den Umgang mit Tyrannen, während Goethes Faust II die Klima- und Finanzkrise vorwegnehme. Literatur habe auch eine gesellschaftliche Funktion: “Wir lernen, uns nicht nur so schlicht und einfach wie möglich auszudrücken, sondern so schön oder kontrovers wie möglich.”
Mit Blick auf die Kanon-Debatte sagte Richter, man müsse fragen, ob im Literatur-Kanon mehr Autorinnen oder nicht deutsche Muttersprachler abzubilden seien. Werke werden kanonisch genannt, wenn sich Menschen generationenübergreifend mit ihnen beschäftigen. Der Kanon müsse sich “stets erneuern”, so die Germanistin. Mit Blick auf das DLA sagte sie: “Was für archivierungswürdig erachtet wird, ist zwangsläufig auch kanonverdächtig.”
Das DLA wurde 1955 in der Geburtsstadt Friedrich Schillers gegründet und sammelt Manuskripte und Typoskripte, persönliche Gegenstände und Digitalliteratur von deutschsprachigen Autoren. Zu der weltweit einzigartigen Einrichtung gehören das Archiv mit Beständen von 1750 bis zur Gegenwart, das Schiller-Nationalmuseum, das Literaturmuseum der Moderne sowie das Collegienhaus. Träger ist die Deutsche Schillergesellschaft. Bis 2033 sind die Fertigstellung eines Neubaus und Sanierungen geplant. Die Kosten von geschätzt mehr als 150 Millionen Euro übernehmen der Bund und das Land Baden-Württemberg mit je 73 Millionen. Der Rest soll über private Zuwendungen erfolgen.