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“Leto” – Meisterhaftes Porträt der Punkbewegung der Sowjetunion

“Leto” ist ein meisterliches Porträt der Punkbewegung in der Sowjetunion der 1980er-Jahre, festgemacht an einer Dreiecks-Liebesgeschichte. Der Film fängt zudem eindrucksvoll das gesellschaftliche Klima von damals ein.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

In den 1980er-Jahren öffneten sich russische Rockbands wie “Zoopark” und “Kino” in Leningrad zunehmend westlicher Punk- und New Wave-Musik, was ihre Musik zum Ausdruck einer nach mehr Freiheit lechzenden jugendlichen Subkultur machte.

Der meisterliche Film des verfemten russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow von 2018 erzählt von dieser verheißungsvollen Zeit, indem er eine Dreiecksbeziehung zwischen einer jungen Frau und den beiden Frontmännern der Bands “Zoopark” und “Kino” schildert.

Mit seiner virtuosen, fantasievollen Inszenierung und der mitreißenden Musik fängt der Film das gesellschaftliche Klima in der Sowjetunion der 1980er-Jahre zwischen Nostalgie und Optimismus ein und setzt dem Freiheitsdrang der jugendlichen Protagonisten ein furioses Denkmal.

Dabei begeistert vor allem die Inszenierung. “Leto” ist ein Schwarz-weiß-Film, der immer wieder von verheißungsvollen Farbeinsprengseln und Animationselementen durchkreuzt wird. Die Figuren sprechen bisweilen direkt in die Kamera und reißen so die Barrieren der “vierten Wand” ein.

Die Montage ist schnell und dynamisch, geprägt von der mitreißenden New-Wave-Musik von “Zoopark” und “Kino”; manche der Songs sind “gecoverte” Post-Punk-Stücke aus dem Westen, von Talking Heads, Lou Reed, Iggy Pop oder David Bowie. Insgesamt ist die Inszenierung anspielungsreich, fantasievoll und vereint auch auf der Tonspur viele parallele Ebenen zum virtuosen Bewegungskino.

Der Nachmittag, an dem alles anfing: ein Sonntag am Strand, eine Gruppe Jugendlicher, Wein, Wodka, Musik. Irgendwann wird nackt gebadet, am Lagerfeuer gesungen. Die beiden Neuen in der Gruppe gehören nun auch dazu. Eines der Lieder heißt “Sommer”, auf Russisch “Leto”. Der könnte sich überall ereignen, spielt aber in “Leningrad, in den frühen 1980er-Jahren”, mitten in der UdSSR, aber weit weg vom Sowjetstaat.

Zu Beginn ist die Kamera Gast bei einem halblegalen Konzert; ein paar Herren von der Partei sind auch da und sorgen dafür, dass allzu enthusiastisch zur Schau gestellte Emotionen schnell wieder verschwinden. Es spielt eine Band namens “Zoopark” mit ihrem Frontmann Maik; im Saal sind seine Freundin Natascha und andere, die man bald besser kennenlernt.

Weil dies alles in der UdSSR spielt, schaut man anders auf scheinbar Nebensächliches; man bemerkt Adidas-Schuhe, Jeans, westliche Musik, westliche Namen. Der Westen ist Vorbild für diese Jugendlichen, ein Sehnsuchtsraum, in den all ihre Träume, Hoffnungen und mitunter auch pure Utopien projiziert werden. Man bemerkt aber auch, wie großartig die Kamera ist, wie sie in fließenden Bewegungen sensibel beobachtet, die Blicke der Figuren aufeinander auffängt, Beziehungen stiftet und selbst zum Teilnehmer des Geschehens wird.

Heute sind die Punkrock-Gruppen “Zoopark” und “Kino” Musiklegenden, Anfang der 1980er-Jahre waren sie der erste Vorschein einer anderen Zukunft, die unter den Begriffen “Glasnost” und “Perestroijka” bald auch den Westen verzauberte und für die neuen liberalen Seiten der Sowjetkultur einnahm.

“Leto” erzählt diese Geschichte vom Herbst des sowjetischen Jahrhunderts und von einem frühlingshaften Aufbruch unter den Leningrader Jugendlichen. Während die UdSSR gerade in Afghanistan einmarschiert, entdeckt ein Dutzend 20-Jähriger New Wave und Punk, von den Stones bis Police, von Bowie bis Blondie. Das System weiß, dass es mit purer Repression hier nicht mehr weit kommt, dass es Popkultur, neuartige Bands und deren Auftritte dulden muss, solange keine “Dekadenz” droht und politische Linientreue garantiert ist. Inmitten dieses kulturellen Tauwetters platziert der Film seine Figuren.

Die Handlung basiert auf einer autobiografischen Vorlage von Natalia Naumenko, dem realen Vorbild von Natascha: eine ebenso intelligente wie charmante junge Frau in der Mitte einer Dreiecksbeziehung zwischen Maik und Viktor, dem Sänger der Gruppe “Kino”. Diese Dreiecksliebesgeschichte sorgt neben der Musik für emotionale Dynamik, doch unter dem Glück des Aufbruchs junger Menschen lauern Melancholie und tiefe Verzweiflung.

Die drei Hauptfiguren werden sehr gleichberechtigt behandelt. Viktor ist der Rätselhafte, Natascha die Kluge, Gelassen-Skeptische. Maik hat die schönsten Drehbuchsätze, und er ist der Großzügigste: Er schenkt Namen, Ideen, Songs, Studioverträge, und er rettet mit seinem Charisma die missglückte Performance eines Freundes. Er verhilft Viktor sogar zu einem Rendezvous mit Natascha, obwohl der der Rivale ist – und genau wegen dieser Großzügigkeit wird sich Natascha am Ende für ihn entscheiden.

Der Film ist großes Kino, das viele Elemente verbindet und in Form einer privaten Geschichte das Bild einer ganzen Gesellschaft entfaltet. Dabei begeistert vor allem die Inszenierung. Ein Schwarz-weiß-Film, unterbrochen von Farbeinsprengseln und Animationselementen. Figuren sprechen in die Kamera. Die Montage ist schnell und dynamisch, geprägt von der mitreißenden New-Wave-Musik von “Zoopark” und “Kino”. Manche der Songs sind “gecoverte” Post-Punk-Stücke aus dem Westen, von Talking Heads, Lou Reed, Iggy Pop oder David Bowie.

“Leto” steckt dabei zugleich voller Romantik, die der jungen Jahre und einer analogen Welt. Ein Film, dessen Form wie seine Figuren und die Handlung universal sind und weit über das postsowjetische Aufarbeitungskino hinausweist. Der Film dementieren aber auch jeden anti-utopischen Pessimismus: Serebrennikov zeigt schöne Menschen, die schöne Dinge machen, er zeigt Freiheit, Musik und Liebe als Quelle von Glück und einen großzügigen Umgang der Menschen untereinander. So gelang ihm ein mitreißender Musikfilm und sicher einer der besten, wenn nicht gar der beste Film des Jahres 2018.