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Lebensmittel-Engpässe – überlastete Helfer

Bundesweit nutzen etwa 100 000 Flüchtlinge die freiwillig angebotenen Leistungen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Das Beispiel Augsburg macht die Probleme der bundesweit inzwischen 923 Tafeln deutlich

Annette Zoepf

Auf Stühlen links und rechts im Flur sitzen die Menschen, auch auf den Treppenstufen zum Eingang hinunter und selbst auf der Straße geht die Schlange noch weiter. „Und das ist nur die erste Schicht. In der zweiten kommen noch mehr Leute“, sagt Heidemarie Rösel. Früher seien 25 Menschen an einem Nachmittag zur Ausgabestelle Jakobervorstadt der Augsburger Tafel gekommen, fügt sie hinzu. Heute seien es mehr als 100. „Die Nahrungsmittel reichen hinten und vorne nicht“, klagt Rösel, die eine von rund 210 freiwilligen Helfern bei der Tafel in der Fuggerstadt ist.

Ein Grund für den Mangel: „Wir haben derzeit bis zu 50 Neuanmeldungen pro Woche, hauptsächlich Asylbewerber“, erklärt Fritz Schmidt. Bis vor etwa drei Jahren sei die Zahl der Empfänger in der Stadt gesunken, weil immer mehr Menschen Arbeit gefunden hätten, berichtet der Augsburger Tafel-Vorstand. Seitdem geht es wieder nach oben – und zwar sprunghaft. Vor zwei Jahren waren 3500 Menschen registriert. Heute sind es 4500, von denen viele eine Familie versorgen müssen. Hinzu kommen Einrichtungen wie die Drogenhilfe, Frauenhäuser oder Pfarreien, die ebenfalls Lebensmittel über die Tafel beziehen. „Die Lebensmittelspenden steigen nicht in gleichem Maße wie die Nutzerzahlen“, betont auch Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel. Zurzeit nutzten etwa 100 000 Flüchtlinge die freiwillig angebotenen Tafelleistungen.
Laut Brühl ist vor allem die mangelnde Koordinierung der Hilfe ein großes Problem. Kommunalpolitiker und örtliche Hilfsorganisationen müssten sich regelmäßig austauschen. Zudem benötigten die Ehrenamtlichen mehr Unterstützung im Umgang mit Asylbewerbern. Diese seien oft die erste Anlaufstelle für Menschen, die traumatische Erlebnisse hinter sich hätten, was aber viele überfordere. „Wir sprechen gerne mit den Menschen, hören uns ihre Geschichten an und helfen auch mal beim Ausfüllen eines Formulars“, bestätigt Heidemarie Rösel. Die Gespräche seien nicht die entscheidende Belastung. „Viel schlimmer ist die Aggressivität, mit der einige Menschen hier auftreten. Das bringt einen physisch und psychisch an den Rand der Belastbarkeit.“
Ausschlaggebend ist laut Schmidt ein falsches Verständnis von der Tafel: „Viele meinen, sie hätten hier einen Anspruch auf Lebensmittel. Dabei ist das ein freiwilliges Angebot.“ Zahlreiche Empfänger machten bei der Lebensmittelausgabe falsche Angaben über die Größe ihrer Familien, um mehr zu bekommen, als ihnen zusteht.
Schmidt versucht vor allem durch die vorhandenen Kontakte zu Supermärkten die Menge der auszugebenden Nahrungsmittel zu erhöhen. Der 65-Jährige ist eigentlich ein ruhiger Mann. Als er jedoch auf die Marktleiter zu sprechen kommt, hebt er plötzlich die Stimme: „Manche schmeißen Lebensmittel lieber weg, als sie uns zu geben.“ Der Grund? „Das macht weniger Arbeit. Da muss man weniger aussortieren“, sagt Schmidt. Das sei aufgrund der personellen Ausstattung in manchen Filialen zwar nachzuvollziehen, dennoch wünsche er sich ein Lebensmittelgesetz nach französischem Vorbild. Im Nachbarland müssen Supermärkte seit Kurzem nicht verkaufte Lebensmittel spenden.
Außer dem Lebensmittel-Engpass sieht Schmidt aber noch ein anderes Problem bei den Tafeln: die dünne Personaldecke. Vor allem bei den Fahrern, die die Lebensmittel einsammeln, werde es eng. Von zehn Interessenten bleibe letztlich nur einer übrig, weil die Knochenarbeit beim Ein- und Ausladen unterschätzt werde.