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Leben nach dem Sturz – Samuel Koch über Glaube und Schmerz

Vor 15 Jahren verunglückte er schwer – live im Fernsehen. Heute spricht Schauspieler Samuel Koch in der Öffentlichkeit über das Unausweichliche. Warum er trotzdem kein Mutmacher sein will.

In der Reha hätten manche Menschen zu ihm gesagt: “Wenn ich die Höhe deines Querschnitts hätte, hätte ich mir längst das Leben genommen.” Doch Samuel Koch hat ein “Ja” zum Leben gefunden, wie er sagt. Er betont auch: “Von mir gibt es kein ‘Du musst nur wollen, das Glas ist halb voll, Carpe Diem, nutze den Tag’.”

Der 38-Jährige verunglückte im Dezember 2010 in der ZDF-Sendung “Wetten, dass…?!” bei einem Saltosprung über ein fahrendes Auto. Er brach das Genick und ist seitdem von den Schultern abwärts gelähmt. Ein Mutmacher – das will er nicht sein. Das sei ein fragwürdiger Begriff, und Verläufe der Erkrankung seien dafür zu unterschiedlich. “Ich kann von mir erzählen, aber den Mut muss man selbst aufbringen, ein Ja oder Nein oder zumindest ein vielleicht zum Leben zu finden.”

Und so erzählt Samuel Koch auf der Bühne des Heidelberg Congress Centrum von sich. Vor ihm in den Stuhlreihen, die bis auf den nahezu letzten Platz gefüllt sind, sitzen Fachleute, Professoren, Ärztinnen, Pflegekräfte, Therapeutinnen, auch Menschen, die wie er im Rollstuhl sitzen. Die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie, Querschnittslähmung, hat Koch als Festredner eingeladen zu ihrer Jahrestagung, die am Wochenende zu Ende ging.

Eine Stunde lang redet oder vielmehr: unterhält Koch das Publikum. Er ist studierter Schauspieler; bereits zwei Monate vor seinem Unfall hatte er an der Hochschule in Hannover sein Studium begonnen, 2014 schloss er es ab. Er spielte am Staatstheater Darmstadt, dann am Mannheimer Nationaltheater, seit vergangenem Sommer ist er Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele.

Eindrucksvoll schildert Samuel Koch, wie er sich in einem Krankenhausbett wiedergefunden habe, bewegungslos, den Kopf festgeschraubt in einem sogenannten Halofixateur, der die Fraktur stabilisieren soll; Ärzte und Pflegekräfte mit Mundschutz, die ihn Simon Schmitz nennen. “Es war ein Alptraum”, sagt er im Rückblick. Er habe gedacht: “Hier liegt der falsche Patient, es muss sich um ein Missverständnis handeln.”

Erst später erfährt er, dass die abgedunkelten Fenster und der Simon Schmitz Vorsichtsmaßnahmen sind, damit die Journalisten ihn nicht aufspüren können. “Nicht einmal meinen Namen hatte mir das Leben gelassen”, sagt Samuel Koch, ein Profi-Turner, der einmal Stuntman werden wollte. Schock- oder Reizphase nennt er diese erste Zeit, und es sei gut für ihn gewesen, dass er nichts habe machen können, außer sich neu zu sortieren.

Samuel Koch wird von Düsseldorf in eine Spezialklinik in die Schweiz verlegt. Nach etlichen Wochen sei er im Rollstuhl, gegen den er sich lange gesträubt habe, auf den Balkon seines Krankenzimmers geschoben worden. Langsam, erinnert er sich er, sei die grauenvolle Wahrheit eingesickert: dass er nicht – wie nach sonstigen Turnunfällen – die Klinik auf eigenen Füßen wird verlassen können.

Sein Blick sei auf die grünen Wiesen gefallen, auf den Sempacher See und die mit Schnee bedeckten Alpen. Und während er – endlich – die unklimatisierte Schweizer Bergluft eingeatmet habe, habe er plötzlich grinsen müssen. “Ich habe Dankbarkeit empfunden. Für die Schönheit der Schöpfung. Für die netten Ärzte und Pflegekräfte. Für Familie und Freunde, die meine Besuchsliste füllten.” Es sei ein kleiner erster Moment der Erkenntnis oder Hoffnung gewesen – darauf, dass es doch ein “vielleicht” gebe.

Koch will nichts beschönigen. Auf die Schockphase folge die Akzeptanzphase – und damit harte Zeiten für die Betroffenen, betont er. Es habe vieles gegeben und es gebe nach wie vor vieles, das er akzeptieren müsse, weil es sich nicht ändern lasse.

Oft habe er sich gefragt, was er noch mit seinem Leben anfangen könne. Dann erinnere er sich an seinen Vater, der ihm, als er eine Fünf in Englisch nach Hause gebracht habe, eines der teuersten Jo-Jos geschenkt habe, damals ein Trend-Spielzeug. Für den Vater Ausdruck seiner bedingungslosen Liebe: “Er liebt mich, weil ich bin, mehr muss ich nicht leisten.”

Ein Zuhörer will wissen, ob Samuel Koch ein gläubiger Mensch sei. Er sagt nein, er sagt ja, und er sagt, er könne und wolle sich nicht vorstellen, dass all das Schöne, das es neben dem Gräuel auf der Welt gebe, all das Intelligente und liebevoll Gestaltete aus Versehen passiert sei. Als Beispiel nennt er eine Fingerbewegung: Dessen sei er sich erst bewusst geworden, seit er seine Finger nicht mehr so einfach bewegen könne.

Am Vortag des Auftritts in Heidelberg habe er einen Mönch in Darmstadt getroffen, erzählt Koch weiter. Sie seien im Garten gewesen, und er habe erkannt, was passiert, wenn man diese gestaltete Natur dem Zufall überlasse: Chaos. “Ich will nicht glauben, dass wir dem Zufall überlassen sind.”