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Leben auf einem anderen Planeten

In Cornwall hat eine Gruppe Wissenschaftler ein in sich geschlossenenes Ökosystem erschaffen. Ziel des Projekts ist es, ideale Bedingungen für ein Leben unabhängig von der Erdatmosphäre zu schaffen, um eines Tages auf anderen Planeten leben zu können

Ein Wasserfall rauscht, Vögel singen. Palmen recken sich in den Himmel. In der Dschungellandschaft reifen Cashew-Nüsse, Vanille, Kakao, Kaffee und exotische Gewürze. Ein Pfad führt durchs dichte Grün am Boden, ein anderer durch die Gipfel der im tropischen Klima emporgeschossenen Bäume. Auf den Blättern der Bananenstauden glänzen Tropfen. Auf den Stirnen der Besucher ebenfalls.

Bis zu 35 Grad warm ist das Regenwald-Biom des Eden Projects, die Luftfeuchtigkeit ist enorm. Denn das Riesengewächshaus imitiert den natürlichen Lebensraum von Pflanzen auf tropischen Inseln, in Südostasien, Westafrika und im tropischen Teil Südamerikas. Eine gewaltige, fünfzig Meter hohe Kuppel sperrt die Realitäten des milden, aber launischen Klimas Cornwalls aus.
Unter einer Reihe geodätischer Kuppeln vereint das Eden Project die Pflanzen mehrerer Klimazonen und den größten Regenwald der Welt in Gefangenschaft. Mit einer Million Pflanzen, die mehr als 5000 Arten repräsentieren, bildet es eine Art begehbares Universal-Botanikbuch. Innerhalb weniger Stunden können Besucher im Regenwald schwitzen und im mediterranen Biom unter Olivenbäumen flanieren.
Hier unternehmen sie einen Streifzug durch die Welt und erleben dabei die Wunder der Schöpfung. Blüten, Früchte, Wein und Getreide gedeihen im mediterranen und subtropisch-trockenen Klima des zweiten Bioms im Übermaß. Auch von dieser Fülle rührt der Name Eden.
Zwar ist dieser Garten von Menschen gemacht. Doch trotz zahlreicher Kunstgriffe soll er die Schönheit und die Vielfalt der Natur im Originalzustand präsentieren, die Abhängigkeit des Menschen von der Flora erklären und vom Aussterben bedrohte Arten bewahren. Schon dieser Anspruch unterscheidet ihn von anderen viel geliebten Grünanlagen im Südwesten der Insel.
Cornwall ist seit jeher verzaubertes Land. Moore, sandige Buchten, Küstenpfade und alte Burgen machen die Region zu einer Naturlandschaft, die die Assoziation mit dem Garten Eden geradezu beflügelt. Den Rest erledigen das milde, feuchte Klima und die mineralreichen Böden. Ihnen verdanken sich viele der prachtvollsten Gärten der Insel.

Der große Außenbereich zeigt das wilde Cornwall

Auch das Eden Project verfügt über einen Garten unter freiem Himmel. Auf einer Fläche von 81 000 Quadratmetern wachsen hier 3000 Arten. Der Bereich „wildes Cornwall“ erinnert daran, wo man sich hier eigentlich befindet. In anderen Abschnitten blühen je nach Jahreszeit Tulpen- und Lavendelfelder. Kinder spielen in riesigen Kletternetzen und auf überdimensionalen Baumstümpfen. Garten und Kuppeln nehmen eine Fläche von nicht weniger als dreißig Fußballfeldern ein.
Auch im ländlich geprägten Cornwall ist ein für ein solches Großprojekt passendes Gelände nicht ganz leicht zu finden. In der Nähe der Stadt St. Austell aber befand sich der ideale Ort, um eine Vision zur Realität reifen zu lassen. Hier wurde Cornwalls Garten Eden im April 2001 als eines der Millenniumsprojekte des Königreichs eröffnet.
Ausgerechnet einem gebürtigen Niederländer sind mit dem Eden Project und dem gegensätzlichen Garten Heligan zwei der beliebtesten und meistbesuchten Grünanlagen Englands zu verdanken: Tim Smit, Musikproduzent und Komponist, der als Sohn eines Niederländers und einer Engländerin im Süden der Insel aufwuchs und die Liebe zum gestalteten Grün bereits im Kindesalter entwickelte. Ende der 1980er-Jahre übersiedelte er mit seiner Familie von London nach Cornwall. Eigentlich wollte er hier viel Zeit mit dem Schreiben von Musik verbringen. Doch bald kamen ihm zwei gärtnerische Großprojekte dazwischen: erst die Lost Gardens of Heligan, dann das Eden Project.
Heligan war ein alter, riesiger Garten, der in Vergessenheit geriet. Gut 70 Jahre hatte die Natur, um an den Gärten ein Exempel zu statuieren. Smit holte unter gewaltigem Aufwand die versunkenen Gärten von Heligan zurück ins Leben. Es war das größte Gartenrestaurierungsprojekt Europas – und die richtige Vorbereitung auf Smits nächsten Coup, das „Eden Project“. 1995 entstand die Idee, die Wunder der Pflanzenwelt in einem modernen Eden zu präsentieren. Sechs Jahre dauerte es, bis daraus ein Paradiesgarten geworden war, aus dem der Mensch nicht vertrieben werden kann.
Mit den beiden Projekten hat Tim Smit der gesamten Region einen neuen Impuls gegeben. So ist auch die ans Religiöse grenzende Euphorie zu erklären, die die ausgegrabene Gartenanlage und das futuristische Millenniumsprojekt Eden auslösen. In einigen Gegenden Cornwalls, das zu den ärmsten Regionen der EU zählt, betrug die Arbeitslosenquote um die Jahrtausendwende 25 Prozent. Mit den Lost Gardens of Heligan und dem Eden Project hat der Südwesten nicht nur Arbeitsplätze bekommen, sondern auch zwei ganzjährige Attraktionen, die mit ihren Landschaftsbildern aus Vergangenheit und Zukunft Hunderttausende anziehen.
In manchem Jahr besuchen über eine Million Menschen das Eden Project. Mehr als 500 Angestellte sind dort beschäftigt. Heute ist das Eden Project botanischer Garten, Wohltätigkeitsorganisation und sozial ausgerichtetes Unternehmen, das seinen Gewinn in Bildungsprojekte investiert. Es befindet sich im Besitz des Eden Trust. Es ist ein innovativer Schritt in Richtung des uralten Traums des Menschen vom Paradies.