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Landläufig

Aus dem Leben einer Dorfpfarrerin: Vorstellung und Blog Nr. 1… Von Sabine Bruhns

Liebe Leserinnen und Leser, ich heiße Sabine Bruhns, 46, und bin Pfarrerin im Kirchenkreis Sandmark (EKBO).

Ich wohne in Terpen, das liegt im Naturpark Drögower Schüttere Heide.

8 Predigtstellen gehören zu meinem Pfarrsprengel, die Dörfer sind klein, meist nur 100-250 Einwohner, es ist eine dünnbesiedelte Gegend hier. Trotz meines riesigen Einzugsbereichs hat der Pfarrsprengel nur noch knapp 500 Gemeindeglieder.

Mein Mann Friedhelm und ich teilen uns die Pfarrstelle, ich habe noch eine zusätzliche Beauftragung für die Gefängnisseelsorge. Wir haben zwei Kinder. Sarah, 18, macht gerade Abitur und Jonas, 15, macht am liebsten gar nichts, ist aber auch auf dem Gymnasium.

Ich möchte Ihnen in nächster Zeitregelmäßig aus dem Alltag eines Landpfarramtes unserer Landeskirche berichten, mit allen Freudenund auch manchen Sorgen.

Vielleicht sind Sie irritiert, dass Sie meinen Namen und den Pfarrsprengel nicht im Adressenverzeichnis der EKBO finden. Es gibt mich wirklich und alle Orte und Personen, von denen ich erzählen werde, aber unter anderen Namen, denn es geht mir in diesem Blog nicht darum, ein spezielles Pfarramt zu präsentieren, sondern das BrandenburgerLandpfarramt, wie ich und meine Kollegen es erleben.

Alles, was ich erzähle, hat sich so zugetragen, bei mir oder anderen, ich denke mir hier nichts aus, es wird höchsten ein bisschen verfremdet, so dass konkretePersonen nicht zuzuordnen sind.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und würde mich über Rückmeldungen, Kommentare, vielleicht sogar eigene Erlebnisse freuen.

Ihre Sabine Bruhns

Aus dem Leben einer Landpfarrerin Nr.1:

„Moooommmm!“ ruft es vom ersten Stock runter. „Mohooom!“

„Sarah, komm runter, wenn du was willst!“ rufe ich aus dem Amtszimmer zurück. Ich sitze am Computer vor der neuen Excel-Tabelle, die das Konsistorium für die Beantragung von Dienstreisen geschickt hat. In drei Wochen ist die Weiterbildung der Gefängnisseelsorger, ich muss den Dienstreisegenehmigungsantrag ausfüllen, zum Konsi schicken, dann darf ich die Dienstreise antreten und muss das Reisekostenabrechnungsformular zusammen mit der Dienstreisegenehmigung und den Fahrkarten einschicken.

Seufzend versuche ich zum vierten Mal in das Feld: „Ziel und Zweck der Reise“ „Konvent der Krankenhausseelsorger“ einzutragen.

Aber er will nicht. Der Herr Excel. Ich sitze jetzt seit 15 Minuten daran. Es ist bereits nach drei, um fünf habe ich mich mit Oda, meiner GKR-Vorsitzenden verabredet wegen des Chorkonzertes nächste Woche in Großpluntzen. Und eigentlich wollte ich schon längst bei Frau Scheeling sein, die heute ihren 88. Geburtstag feiert.

„MOOOHOOOM!“ Sarahs Rufen wird lauter und dringender. Seit sie vor zwei Jahren ein Austauschjahr in Amerika gemacht hat, redet sie mich nur noch ganz selten mit „Mama“ an, die meiste Zeit spricht sie amerikanisches Englisch. Ich habe mich daran gewöhnt und finde es lustig, Friedhelm regt sich jedes Mal darüber auf.

Stöhnend stehe ich auf und gehe zur Treppe und rufe hoch: „Was ist denn?“

Sarah steht oben und bleibt dort auch. Dasselbe Mädchen, das dreimal in der Woche zum Crosstraining und Schwimmen fährt, ist zu faul, die Treppe runterzukommen.

„Fährt noch mal jemand in die Stadt? Ich brauch noch Zeug für die Schule! Wo ist denn Paps?“

„Zur Baubesprechung in Budow. Ich kann morgen auf dem Rückweg von Bleitzen was mitbringen, mach mir eine Liste. Und frag Jonas, was der noch braucht!“

„Wieso ich, frag ihn doch selber!“ knurrt Sarah und ist wieder in ihrem Zimmer verschwunden.

Na vielen Dank.

Was nun?

Ich schließe die Exceltabelle ohne speichern und gehe in den Garten, um endlich für Frau Scheeling Blumen zu schneiden.

Frau Frey kommt vorbei.

„Ach, Frau Bruhns, schön, dass ich Sie sehe, da kann ich doch gleich mein Wassergeld bezahlen. Heute ist zwar nicht Bürotag, aber Sie sind ja zu Hause!“ Ich lächle etwas gequält und gehe mit Frau Frey ins Büro. Es dauert zwar keine 5 Minuten, aber als ich in den Garten zurückkomme, ist die Gartenschere weg. Dabei hatte ich sie doch auf den Rand der Wassertonne abgelegt!

Ich nehme rasch ein Küchenmesser, muss mich beeilen, denn es ist schon kurz nach halb vier. Frau Scheelings Blumenstrauß wird recht zerzaust. Jetzt aber ab aufs Rad und los… da kommt der alte Hoffmann von gegenüber und winkt. Ob ich einfach so tue, als hätte ich ihn nicht gesehen? Aber das geht nicht, ich halte also an, warte, bis er ran ist.

Ohne Gruß oder Ansprache geht es sofort los:

„Wat isn jetzt mit die jelbe Tonne uffn Friedhof, kommt die wieder?“

„Herr Hoffmann, die Leute haben ihren Hausmüll in der gelben Tonne entsorgt, das ging so nicht mehr!“

„Ja, aber wo solln wa denn jetzt hin mit det Plaste-Zeugs?“

„Nehmen Sie es wieder mit nach Hause!“

„Wie denn?“ „Na genauso, wie Sie es hingebracht haben!“

„Ick sach Ihnen mal wat, Frau Pastor, wenn Sie sich nicht kümmern, denn hau ick das ganze Zeug bei Ihnen vor die Haustür!“ Spricht‘s, dreht sich um und geht weg.

Puh, erstmal verdrängen!

Ich radle kopfschüttelnd zu Frau Scheeling. Sie sitzt trotz der Wärme in Decken gehüllt auf der Veranda. Ich kenne die zarte, leicht demente Frau schon lange und setze mich neben sie, sage nur leise „Frau Scheeling!“ und nehme vorsichtig ihre fast durchscheinende Hand. Eine Weile sitzen wir Hand in Hand, lächeln uns an und genießen beide diesen innigen Moment, der nur uns gehört.

Bis ihre Tochter kommt, mich laut begrüßt, herzlich drückt, herumwuselt, Kuchen,Kaffee bringt und ohne Pause schwatzt. Frau Scheeling zieht die Augenbraue hoch, als wolle sie sich für diesen Wirbel entschuldigen. Es wird ein schöner Nachmittag, ich erfahre viel Klatsch und Tratsch und gebe meinerseits weiter, was ich verantworten kann. So funktioniert nun mal das Dorf.

Um halb sechs bin ich zu Hause, der Anrufbeantworter blinkt. Die erste Nachricht ist von Oda: „Wo bleibst du denn, ich warte auf dich!“

Ups, ich habe diesen Termin völlig vergessen.

Die zweite Nachricht ist von Achim, einem Kollegen. Ob ich heute zum Strukturausschuss die Gemeindegliedertabelle mitbringen kann.

Ach du lieber Himmel, Strukturausschuss ist heute auch noch! Gott sei Dank kommt Friedhelm in diesen Moment auf den Hof gefahren.

„Frieder, tut mir leid, ich muss noch nach Gramburg zum Strukturausschuss. Fütterst du das Viehzeug? Und der alte Hoffmann keift wegen der gelben Tonne,Und frag Jonas, was er für die Schule braucht. Und ruf Oda an, die hab ich versetzt! Ich muss los!“

Friedhelm nickt müde und ruft nur noch: „Nimm die Bauanträge für die Suptur mit!“ und legt mir ein Paket auf die Rückbank.

22:00 Uhr, ich bin zurück. Friedhelm hat gerade die Bauakte geschlossen und beginnt ein Computerspiel. Ich schaue eine Weile fasziniert zu, wie er als Zauberer gegen ein Monster kämpft. Ob ich ihm jetzt schon sage, dass der Strukturausschuss keine Möglichkeit sieht, unsere kleine Pfarrstelle zu erhalten?

„Hast du die Bauanträge abgegeben?“ fragt er, als ein Monster mit grünem Schleim explodiert.

Nein, das Paket liegt noch auf der Rückbank.

Morgen vielleicht.