Er ist der Pionier der digitalen Kunst schlechthin: Schon seit den 1980er Jahren nutzt Miguel Chevalier den Computer als kreatives Ausdrucksmittel. Eine neue Schau zeigt nun die Vielfalt seines Schaffens.
Selbst nichtreligiöse Menschen können heutzutage nicht (mehr) leugnen, dass es außer der irdisch-sichtbaren noch andere Welten gibt. Solche künstlichen Universen schafft der in Mexiko geborene und in Paris lebende Künstler Miguel Chevalier. Diese werden auf der ganzen Welt gezeigt und sind nun bis 1. März 2026 in der Kunsthalle München zu sehen. Der erste Eindruck, wenn man diese Räume betritt: Staunen und Überwältigung. Eine Überfülle von bunten Farben und nie gesehenen Formen, untermalt mit sphärischer Musik, in die man körperlich eintauchen kann wie in eine fantastische Welt. Diese Installationen scheinen keine Grenzen und Regeln zu kennen.
Derartige Werke erschafft Chevalier ausschließlich mit dem Computer. Die darin eingespeisten Algorithmen erzeugen fortlaufend neue Bilder, die das Publikum durch eigene Körperbewegungen mitgestalten kann. Kein Wunder, dass seine Kunst Jung und Alt gleichermaßen anspricht: Hier wird man spielerisch wieder zum staunenden Kind. Die Ausstellung bietet so nicht nur ein visuelles, sondern auch ein körperliches und emotionales Erlebnis und lädt ein zum Beobachten, Mitmachen und Ausprobieren. Sie ist die bislang größte Einzelschau von Chevalier in Europa.
Chevaliers gesamte Arbeit ist geprägt von einer grenzenlosen Neugier für innovative Technologie und dem Wunsch, die Beziehungen zwischen Natur, Wissenschaft und Kunst neu zu denken. Zentral sind für ihn die Zusammenarbeit von Künstler und Maschine und das Spiel zwischen Regeln und Zufällen. In seinen früheren Arbeiten setzte er sich mit grundlegenden Elementen des Digitalen wie Binärsystem, Pixel und Algorithmus auseinander. Neuerdings beschäftigen ihn mehr die Beziehungen von analoger und digitaler Welt, die verblüffenden Verbindungen zwischen Natur und Technik sowie die fragile Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt.
Die digitalen Techniken, die Chevalier konsequent für seine visionäre Kunst nutzt, haben sich heute einen festen Platz im Alltag erobert. Gleichzeitig ist sein Werk stark von der Kunstgeschichte beeinflusst: von den geometrischen Formen der islamischen Kunst und barocken Ornamenten, von der Abstraktion und dem Surrealismus bis hin zu einzelnen Künstlern wie Claude Monet, Yves Klein, Jean Tinguely, Victor Vasarely. Chevalier hat in Paris Bildende Kunst und Archäologie studiert und mehrere Stipendien erhalten. Diese ermöglichten ihm den Zugang zu Computern mit Grafikprogrammen und Zeichensoftware.
“Im Kern”, so schreibt Direktor Roger Diederen im Vorwort des Ausstellungskatalogs, “geht es in der Ausstellung um Transformation und um die Frage, wie Technik unsere Wahrnehmung prägt und wie Kunst dabei helfen kann, unsere Welt neu zu sehen. Die Ausstellung erinnert uns daran, dass das Digitale nicht kalt, steril oder distanziert sein muss.”
Der Künstler selbst sagt dazu: “Ich fühle mich von dem, was mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmbar ist, sehr stark angezogen, weil es uns dazu einlädt, verborgene Dimensionen unserer Existenz zu erforschen, ganz gleich, ob sie der natürlichen Welt oder dem digitalen Bereich entstammen. Die Enthüllung des Unsichtbaren – seien es das mikroskopische Universum von Plankton, marine Mikroorganismen, zelluläre Strukturen oder sogar Pixel – bringt uns den grundlegenden Geheimnissen näher, die das Leben bestimmen.”
Der Kunst misst er dabei eine hohe Bedeutung bei: “Sie ist ein mächtiges Medium, um das Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit und den Reichtum unseres Ökosystems zu schärfen. Mit meinen Werken möchte ich das Verständnis für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur befördern und gleichzeitig auf die Auswirkungen der Technologie auf unsere Umwelt aufmerksam machen.” Indem er Schönheit und Nachdenken miteinander verbinde, wolle er “das kollektive Verantwortungsgefühl für die Erhaltung und Wertschätzung unseres natürlichen Erbes stärken, das einzigartig und für unser Überleben und für das globale Gleichgewicht unverzichtbar ist”.
Topaktuelle und philosophische Überlegungen, die Chevalier höchst überzeugend in sinnliche Formen zu übersetzen vermag: mit Pflanzen-Hologrammen, die an botanische Sammlungen erinnern, mit der visuellen Veranschaulichung des globalen Netzwerks, das sich in den verspiegelten Wänden und dem schwarz glänzenden Boden vervielfacht, mit der Struktur von Kristallen, mit einem Video über die Entstehung von Schneeflocken, mit digital geschaffenen Unterwasser-Wesen, mit den feinen Äderungen und Linienmustern von Blitzeinschlägen und vielem mehr.