Der Teufel steckt im Detail – auch bei der elektronischen Patientenakte. Mit ihr soll der Orthopäde nicht automatisch von psychischen Problemen erfahren, sagen Patientenschützer. Das bleibt möglich, hat aber Grenzen.
Zum bundesweiten Start der elektronischen Patientenakte haben Patientenschützer dem Bundesgesundheitsminister Irreführung der Öffentlichkeit vorgeworfen. Anders als bislang vermittelt, hätten Versicherte keine Möglichkeit, einzelne Dokumente nur bestimmten Ärzten, Therapeuten oder Apotheken zur Verfügung zu stellen, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der geschäftsführende Minister Karl Lauterbach (SPD) erklärte hingegen am Montag, man habe Sicherheitsbedenken berücksichtigt.
Am Dienstag startet die elektronische Patientenakte (ePA). In ihr können Befunde, Diagnosen und Medikamente gespeichert werden. Nach einer Testphase in drei Modellregionen soll sie nun deutschlandweit von allen rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten schrittweise genutzt werden können. Verpflichtend ist die Nutzung für Ärzte und andere Leistungserbringer im Gesundheitssystem aber erst ab dem 1. Oktober. Ein Widerspruch gegen die Nutzung bleibt für Patienten möglich.
Patientenschützer Brysch beklagte, dass für die Versicherten die Steuerung ihrer Daten eine schier unüberwindbare Aufgabe werde. “Die Gefahr ist groß, dass so die gesamte Gesundheitswirtschaft den kompletten Zugriff auf die eigenen Gesundheitsdaten erhält”, sagte er auch mit Blick auf die fehlende Möglichkeit, einzelne Befunde nur bestimmten Ärzten oder Therapeuten zur Verfügung zu stellen. “So kann auch ein Orthopäde sehen, dass der Patient in jahrelanger psychotherapeutischer Behandlung ist, selbst wenn der Patient diese Information nur für neurologische Fachärzte zur Verfügung stellen will.”
Wolle ein Patient hingegen diese Information für den Orthopäden sperren, werde sie für alle Ärzte gesperrt, so Brysch. “Will der Versicherte jedoch den Orthopäden von einem bestimmten Dokument ausschließen, bleibt nur die Möglichkeit, diesem Facharzt den kompletten Zugriff zu verweigern.” Damit hätte der Orthopäde auch keine Chance, für ihn relevante Ergebnisse beispielsweise radiologischer Fachärzte einzusehen. Brysch kritisierte zudem, dass es nicht möglich sei, einzelne Medikamente aus der Akte zu entfernen.
Lauterbach sagte dazu, Patienten könnten einzelne Befunde jederzeit aus der Patientenakte löschen oder gar nicht erst einstellen lassen. Auch könne man etwa einzelne Ärzte von der Nutzung der digitalen Akte ausschließen. Ein einzelner Befund könne nicht gegen den Willen des Patienten von anderen eingesehen werden, betonte der Minister, der voraussichtlich nur noch wenige Tage im Amt sein wird.
Aus Sicht von Lauterbach geht mit der Einführung der elektronischen Patientenakte eine Zeitenwende in der Digitalisierung des Gesundheitssystems einher. Er gehe davon aus, dass die allermeisten Ärzte die Akte schon vor dem 1. Oktober nutzen würden. Zudem hätten bislang nur etwa fünf Prozent der Versicherten der Nutzung widersprochen.
Mit der digitalen Akte werde die Behandlung besser, da Befunde und Labordaten vollständig vorliegen würden, so der Minister. Patienten würden mündiger, weil sie sich intensiver mit den eigenen Befunden auseinandersetzen könnten. Auch die Forschung werde verbessert, da das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Medizin zuverlässige und gute Daten brauche, die nun auf eine sichere Art und Weise zur Verfügung gestellt werden könnten.
Deutschland sei zwar spät dran mit der Digitalisierung, sagte Lauterbach. Dafür sei man aber extrem gründlich und habe den Vorteil, die neuen Möglichkeiten der KI mitdenken zu können. Daher gehe er davon aus, dass Deutschland in wenigen Jahren in Sachen elektronische Patientenakte und medizinische Daten die modernste Infrastruktur in Europa haben werde.
Patientenschützer Brysch forderte hingegen die zukünftige Bundesregierung auf, die elektronische Patientenakte so lange zu stoppen, bis es mehr Möglichkeiten für differenzierte Einstellungen gebe.