Hoffnung statt Krise – Austausch auf Augenhöhe statt Polarisierung: Die Konstanzer Intendantin Karin Becker glaubt an die positive Kraft des Theaters.
Seit der Spielzeit 2020/21 ist die gebürtige Stuttgarterin Karin Becker Intendantin am Theater Konstanz. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht sie darüber, was Vielfalt auf der Bühne für sie bedeutet.
KNA: Frau Becker, Ihr Theater startet mit dem Leitwort “Hoffnung Radikal” in die neue Spielzeit. Was erwartet die Besucher und Besucherinnen?
Karin Becker: Wir laden zu einer großen Vielfalt von Stücken und Veranstaltungen ein. Es wird um politische Themen gehen – etwa um gesellschaftliche Verantwortung, Umbruchzeiten oder Faschismus – und um tief menschliche Gefühle wie Verlust oder die Suche nach Identität. Theater sind Orte, wo verschiedenste Menschen für einen Austausch auf Augenhöhe zusammenkommen. Theater sind aber auch Orte, an denen wir miteinander lachen können. Das ist ganz wichtig! Zum Beispiel bei der Komödie “Hase Hase”, eine rasante Geschichte einer Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs.
KNA: Aber Ermutigungen zur Hoffnung – wie Sie es versprechen – das dürfte bei den vielen Kriegen, Krisen und den Folgen des Klimawandels keine leichte Aufgabe für ein Theater sein?
Becker: Heute sind sehr viele Menschen sehr verunsichert, haben große Ängste. Und zum Glück sprechen sie das auch zunehmend offen aus. Theater will deshalb auf keinen Fall zu einem Rückzug in eine Oase, in eine Art heile Welt verführen. Im Gegenteil kann Hoffnung durch Gespräche, durch den Austausch von Argumenten wachsen. Nicht durch Polarisierung, sondern in einer guten Streitkultur. Dafür steht das Theater.
KNA: Wie kontrovers soll dieser Austausch sein?
Becker: Wir laden Menschen ein, die sich auf die Vielfalt von Argumenten und Lebensentwürfen einlassen. Ich spreche gerne mit jedem, der an einem fairen Austausch interessiert ist.
KNA: Für wen machen Sie Theater – nur für das ergraute Bildungsbürgertum?
Becker: Auf unsere treuen Abonnenten lasse ich nichts kommen! Gleichzeitig wird das Publikum jünger. Seit Jahren engagieren wir uns stark im Kinder- und Jugendtheater. Wir laden Schulen und Kindergärten ein, von dort kommen jährlich mehr als 10.000 junge Besucher. Wir freuen uns sehr über die direkte Art von Kindern und Jugendlichen. Die sagen uns frei raus, ob ihnen ein Stück etwas bedeutet oder nicht. Viele Kinder sind klüger als so manche Erwachsene.
KNA: Erstmals bieten Sie im Stück “Auf die Insel fertig los!” einer gehörlosen Schauspielerin eine Bühne – warum?
Becker: Erst einmal: Es gibt ein Grundrecht auf Teilhabe. Und: So viele großartige Künstlerinnen und Künstler mit Behinderungen wurden viel zu lange übersehen. Sie sollen sich und ihre Themen präsentieren dürfen. Wir müssen Sehgewohnheiten ändern.
KNA: Sie haben nur mit großen Anstrengungen drastische Einsparungen für Ihr Haus verhindern können. Wie wird sich die finanzielle Lage für das Theater Konstanz und die Theater überhaupt entwickeln?
Becker: Für Konstanz haben wir eine Finanzzusage für fünf Jahre durch den Gemeinderat, mit der wir arbeiten können. Wir konnten uns vor dem über uns schwebenden Damoklesschwert in Sicherheit bringen. Insgesamt sieht es für das Theater, aber auch für Kino, die Bildenden Künste, für Museen, Sport, aber auch für Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland düster aus. Ich bin sicher, dass in den kommenden Jahren nicht beim Militär oder bei den Autobahnen gespart werden wird, sondern bei der Kultur, bei Bildung und beim Sport. Und das halte ich für eine fatale Fehlentscheidung mit dramatischen gesellschaftlichen Folgen.
KNA: Inwiefern?
Becker: Theater – wie auch Museen oder Sportvereine – sind wichtige Orte der Bildung und der Demokratie. Hier lernen wir, Diskussionen fair auszutragen. Hier lernen wir andere Meinungen und Haltungen kennen und sie zu akzeptieren. Wo sonst sollen Menschen Gegenpole zur aktuellen Polarisierung und Radikalisierung erleben können – wenn nicht im Theater und im gesamten Kulturbereich!