Die Steine liegen noch heute so auf dem Schreibtisch, wie Bedrich Smetana (1824-1884) sie am liebsten hatte: Ein kleiner Haufen Kieselsteine, glatte Handschmeichler, war immer zu seiner Linken bereit, wenn er komponierte. „Er mochte dieses Gefühl, sie zwischen den Fingern zu drücken“, sagt Lukas Nedved. Der Smetana-Experte leitet das Museum im böhmischen Ort Jabkenice, in dem der tschechische Komponist die letzten Jahre seines Lebens verbrachte. Hier am Schreibtisch, mit Blick auf weite Wälder, entstanden einige seiner großen Werke.
Bedrichs wohl bekannteste Komposition ist der Zyklus „Má vlast“, zu deutsch „Mein Vaterland“ oder „Meine Heimat“: eine Liebeserklärung an sein Heimatland. Dazu gehört auch die sinfonische Dichtung „Die Moldau“ über den prägenden tschechischen Fluss. Dieses Werk, notierte Smetana später, vollendete er in nur 19 Tagen. Er hatte 1874 gerade mit der Arbeit zu „Má vlast“ angefangen, als infolge einer Erkrankung das Gehör verlor – mit gerade einmal 50 Jahren.
Als Smetana vor 200 Jahren auf die Welt kam, am 2. März 1824, gehörte das heutige Tschechien noch zur österreichisch-ungarischen Monarchie. In einem Nebengebäude des Renaissance-Schlosses in der Stadt Litomysl wurde er als Friedrich Smetana geboren, später änderte er den Namen ins tschechische Bedrich. Sein Vater war Braumeister, und er hatte zu jener Zeit die örtliche Brauerei gepachtet. Der Junge war sein elftes Kind, und weil der Vater ein wohlhabender Mann mit breitem kulturellen Interesse war, unterrichtete er ihn zunächst selbst an der Violine.
Mit gerade einmal sechs Jahren trat Smetana in Litomysl auf einer Festveranstaltung zum ersten Mal auf, er spielte die Ouvertüre aus einer damals beliebten Oper. Und ein Jahr später entstand seine erste kleine Komposition, die bis heute erhalten ist – ein kurzes Stück in D-Dur.
Zu jener Zeit deutete sich bereits an, dass Smetana eine Karriere als Musiker bevorstand. Dass er aber einmal Weltruhm erlangen würde, dass er als Begründer der modernen tschechischen Musik gelten würde und seine Melodien noch zwei Jahrhunderte später die Zuhörer verzaubern – das konnte damals noch niemand ahnen. In Tschechien wird der Komponist dieses Jahr unter anderem während des Smetana-Festivals im Juni in seinem Geburtsort Litomysl gefeiert, mit einem kleineren Festival in Jabkenice und einer Smetana-Konferenz des Nationalmuseums im September.
„Es gab damals das Klischee, dass die Tschechen hervorragende Musikanten sind, aber nur die Musik von anderen reproduzieren“, sagt Experte Lukas Nedved über Smetanas Jugendzeit. Smetana hingegen habe schon früh Wellen geschlagen: „Als er jung war, schrieb er vor allem Tanzmusik, die herrliche Louisenpolka und die Georginen-Polka zum Beispiel.“
Das Komponieren brachte er sich zunächst selbst bei, ebenso das Klavierspiel: „Es war so, als ob er mit dem Flügel verwachsen wäre, deshalb wollte er zuerst auch Konzertpianist werden“, erklärt Nedved. Aus jener Zeit stammt einer der berühmtesten Sätze von Bedrich Smetana, er schrieb ihn als selbstbewusster 20-Jähriger in sein Tagebuch: „Mit Gottes Hilfe und Gnade bin ich einst in der Mechanik ein Liszt, im Komponieren ein Mozart.“
Als junger Mann zog er nach Prag, wurde Mitglied in der Künstlervereinigung Concordia und Musiklehrer im Hause des Grafen Leopold Thun. Diese Beschäftigung verschaffte ihm das Geld und die Zeit zum intensiven Studium bei einem renommierten Privatlehrer. Später sagte Smetana mit Blick auf jene dreijährige Epoche: „Ich machte Übungen noch über das aufgegebene Pensum hinaus; ich suchte die härtesten Nüsse aus, mit denen ich mich möglichst viel quälte. Das Ergebnis ist, dass ich jetzt kein nur mögliches technisches Problem ausdenken kann, das mir wirkliche Schwierigkeiten bereiten würde.“
Als im Jahr 1848 auch in Prag revolutionäre Bestrebungen entstanden, schloss sich Smetana der Nationalbewegung an. Das „Lied der Freiheit“ stammt aus jener Zeit und zwei Märsche. Bei einem breiteren Publikum wurde er einige Jahre später berühmt, seine Opern „Die Brandenburger in Böhmen“ und „Die verkaufte Braut“ waren große Erfolge. Als in Prag das Nationaltheater gebaut wurde – gedacht als prachtvolles und selbstbewusstes Symbol der tschechischen Kultur – steuerte er zur Eröffnung die eigens komponierte Oper „Libuse“ bei. Zu jener Zeit war Smetana bereits eine Galionsfigur der tschechischen Kulturszene.
Nach dem Verlust seines Gehörs zog er 1876 dauerhaft zu seiner Tochter Sophie nach Jabkenice aufs böhmische Land. Sein Schwiegersohn war Forstmeister und lebte dort in einem repräsentativen Haus am Waldrand. Im ersten Stock bezog der kranke Smetana zwei Räume, in die er sich zur Arbeit zurückzog und unter anderem „Má vlast“ vollendete. Obwohl er ertaubt war, komponierte er noch mehrere Jahre lang weiter. Smetana starb am 12. Mai 1884.
Heute ist das Haus der Öffentlichkeit zugänglich; es gehört zum Nationalmuseum. Der Spazierstock von Smetana ist dort zu sehen, mit dem er fast täglich im angrenzenden Wildgehege unterwegs war, um seine Gedanken zu sortieren. Sein Klavier steht dort, das Sofa, auf dem er seine zahlreichen Besucher empfing. Und natürlich der Schreibtisch mit den Kieselsteinen.