Sich von Urlaub zu Urlaub hangeln und sich sonst irgendwie durch den Alltag quälen – viele dürften das kennen. Warum das keine gute Idee ist und was jeder im täglichen Trott für mehr Erholung tun kann.
Berufliche Präsentationen und Abgabetermine, to-do-Listen für Haushalt und Freizeit, negative Nachrichten – viele wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Am Feierabend und Wochenende fühlt sich so mancher ausgelaugt und hofft nur noch auf den nächsten Urlaub. Warum das keine gute Strategie ist, verrät Diplompsychologin Anna Rosa Ott, die im betrieblichen Gesundheitsmanagement tätig ist.
Für Berufstätige, Eltern und pflegende Angehörige ist Erholung oft ein Fremdwort. Zu vieles muss noch erledigt werden, damit der Alltag läuft. Für Pausen scheint da kein Raum zu sein. Doch gerade wenn Stressoren nicht vermieden werden können, ist laut Ott Erholung wichtig. Schließlich sei man dadurch leistungsfähiger, motivierter und kreativer. Trotzdem laufen viele weiter stur in ihrem Hamsterrad – mit fatalen Folgen. Ott verweist in ihrem Buch “Jeden Tag ein bisschen Erholung. Impulsgeber für mehr Urlaubsfeeling im Alltag” auf eine finnische Langzeitstudie. Ihr zufolge erleiden Menschen ohne ausreichend Erholungsmöglichkeiten selbst ohne Vorerkrankungen deutlich früher einen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Dennoch scheinen Glaubenssätze wie “Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”, “Wer rastet, der rostet” oder “Müßiggang ist aller Laster Anfang” tief verwurzelt. Ott rät, sie in “erholungsförderliche Glaubenssätze” umzuwandeln. Als Beispiele nennt sie “Müßiggang ist Quelle guter Gedanken und großartiger Ideen”, “Wer rastet, läuft danach wieder schneller” oder auch “Heute habe ich besonders viel zu tun, daher mache ich viele Pausen”. Und die Expertin stellt klar: Erholung sei keine Belohnung, sondern Vorsorge.
Was gute Erholung ausmacht, ist aus Sicht der Psychologin individuell, nach dem Motto: “Gut ist, was gut tut”. Hauptsache ist demnach, dass man den Kopf frei bekommt und von der Arbeit und anderen Belastungen abschalten kann. Das können durchaus fordernde Tätigkeiten sein – das Lernen eines Instruments oder einer Sprache, das Tangotanzen oder das Ausprobieren eines neuen Kochrezepts. Die Beschäftigung sollte weder zu langweilig noch zu anstrengend sein und für ein gutes Gefühl sorgen.
Dann ist sie für Ott auch eine gute Möglichkeit, “außerhalb der Arbeit Erfolge zu feiern”. Solche Erfolgserlebnisse reduzierten das Stressempfinden, der Mensch fühle sich “kompetent, tüchtig und euphorisch”. “Gerade nach einem anstrengenden Arbeitstag, an dem wir an uns zweifeln, ist ein Feierabend-Erfolg eine Wohltat, die uns aufheitert”, ist die Psychologin überzeugt. Ein “Erholungsallrounder” sei indes Bewegung aller Art. Ob Laufen, Boxen, Radfahren, Spazierengehen oder Tanzen – körperliche Aktivität helfe beim Stressabbau und bei der Entspannung. Sie kann in der Natur, im Sportstudio oder zu Hause erfolgen – Hauptsache sei ein Ortswechsel.
Auch sinnliches Erleben kann zur Entspannung beitragen – ein Spaziergang im Wald, ein Saunabesuch, eine Massage. Entspannung ist für Ott “die gemütliche Seite von Erholung”, gekennzeichnet durch geringe Aktivierung, das Gefühl von Ruhe und Gelöstheit, körperliches Wohlbefinden und bessere Stimmung. All diesen Dingen gemein ist, dass der Mensch dabei aktiv beteiligt ist, statt sich wie beim Fernsehen nur berieseln zu lassen – was aber, zeitlich begrenzt, durchaus auch mal sein dürfe.
Ott hält es für wichtig, “dass wir einen Teil unserer Freizeit so verbringen, wie wir es selbst möchten” – etwa am Wochenende ausschlafen zu können oder ohne Zeitdruck mit einer Freundin zu telefonieren. Bereits das Gefühl, in der Freizeit selbst über Aktivitäten bestimmen zu können, trägt aus ihrer Erfahrung zur Erholung bei.
Um selbstbestimmte Zeit zu haben, empfiehlt Ott, die Freizeit gut zu strukturieren. Das helfe dabei, dass private Ziele und Pläne im Alltag neben Abwasch, Einkauf und Kinderbetreuung nicht aus dem Blick gerieten. Auch eine wöchentliche Absprache mit dem Partner ist aus Otts Sicht sinnvoll. Oberste Priorität sollte dabei die selbstbestimmte Freizeit haben – etwa die Zeit fürs Sportstudio, die Lektüre eines schönen Buchs oder der gemütliche Café-Besuch; erst danach könnten andere Aufgaben eingeplant werden.
“Ich habe keine Zeit” – diese Ausrede lässt Ott nicht gelten. Vielmehr würden alltägliche Chancen und Möglichkeiten zur Entspannung, etwa ein kleiner Spaziergang in der Mittagspause im benachbarten Park, oft nicht ausreichend genutzt. So komme es zu dem Gefühl, dass nur der Urlaub echte Erholung bringe. Dieser sollte aber “keine Flucht vor dem Leben sein”, denn ein Urlaub allein könne nicht das gesamte Erholungsbedürfnis stillen. Otts Credo: Auch im Alltag sollte sich jeder kleine Erholungsinseln schaffen – in der Mittagspause, am Feierabend und am Wochenende. Freie Zeit sollte mit vielen schönen, sinnstiftenden Aktivitäten verbracht werden.