Krankenhauskleidung sieht meist noch aus wie 1975. Designerin Bitten Stetter will das ändern – mit Kleidung für kranke Menschen. Denn Stoff und Selbstbestimmung, Mode und Mut hängen für sie eng zusammen.
Kleidung schützt, hält warm – und mehr: “Mit der Wahl unserer Kleider kommunizieren wir über unsere äußere Hülle”, sagt Designerin Bitten Stetter. “Wir tragen sie wie eine zweite Haut, die wir uns selbst aussuchen und sogar wechseln können.” Doch genau diese Freiheit fehlt vielen Menschen, wenn sie krank werden. Im Krankenhaus dominiert Einheitskleidung mit wenig Rücksicht auf emotionale Bedürfnisse.
Eigentlich hatte sich Stetter von der Modewelt verabschieden wollen. Doch ein Forschungsprojekt mit dem Titel “Sterbesettings”, bei dem sie Gegenstände und Kleidung für Menschen in der letzten Lebensphase entwarf, brachte sie zurück zu ihren textilen Wurzeln. Derzeit arbeitet sie für das Label finally an einer besonderen Kollektion: Kleidung für Menschen mit einer Krebserkrankung.
“So viele Menschen sind von dieser Krankheit betroffen. Mich befremdet es, dass es für diese Zielgruppe bisher überhaupt keine spezielle Kleidung von großen Labels gibt”, erklärt die Designerin. Konsumstudien zeigten, dass sich viele Patienten extra für einen Krankenhausaufenthalt neue Nachtwäsche zulegen: “Die Nachfrage wäre also da.”
Stetters Kollektion nimmt Rücksicht auf die Herausforderungen des Klinikalltags: Dazu gehören etwa Zugänge für Infusionen, leichtes An- und Ausziehen – ohne dabei auf Komfort oder Ästhetik zu verzichten. Ihr erstes marktreifes Produkt ist ein sogenannter Turnarounder. Er sieht aus wie ein eleganter Morgenmantel, ist aber speziell auf die Bedürfnisse kranker Menschen zugeschnitten.
“Viele frieren leicht oder ziehen nur alte Sachen an, damit ihre Lieblingsstücke während einer Behandlung nicht in Mitleidenschaft gezogen werden”, erklärt Stetter. “Dabei sollten wir uns in unserer zweiten Haut wohlfühlen. Das unterstützt auch den Heilungsprozess oder, wenn dieser nicht im Raum steht: die Lebensqualität.”
Dagegen zwinge herkömmliche Krankenhauskleidung die Betroffenen eher in die Unselbstständigkeit, beklagt Stetter. “Sie lässt sich nur schwer selbstständig schließen und ist kaum gesellschaftsfähig. Sie erzeugt ein Schamgefühl, das viele ans Bett fesselt. Das hat auch etwas mit Hierarchie und Macht zu tun.” Dabei sollten Menschen in einem besonders verletzlichen Zustand nicht aus rein funktionalen Gründen in etwas hineingezwängt werden, worin sie sich nicht wohlfühlen.
Wie wichtig der richtige Kittel gerade im Krankenhaus sein kann, zeigen Studien aus den USA, Japan und der Schweiz. Daraus geht hervor: Grundsätzlich wird Ärztinnen und Ärzten mehr Kompetenz zugeschrieben, wenn sie im klassischen weißen Kittel auftreten. Eine Krawatte erhöhe unter Umständen noch die Autorität – könne Patientinnen und Patienten aber auch davor zurückschrecken lassen, persönliche Dinge zu erzählen. Betont lässige Kleidung schnitt indes nur bei Kinderärzten gut ab.
Diese Erkenntnisse sollten auch für Patientinnen und Patienten eine Rolle spielen, betont Stetter. “Ein Palliativarzt erzählte mir, wie hilfreich es für die Behandlung wäre, durch Kleidung etwas über den Charakter zu erfahren.”
Entscheidend für eine Revolution der Krankenhauskleidung wird sein, ob sich die entsprechenden Institutionen auf Veränderungen einlassen. Ein erster wichtiger Schritt ist der Designerin bereits gelungen: Palliativstationen kaufen ihre Textilen ein, die Resonanz sei sehr positiv.
Die Prototypen von Shirts und Hosen mit Reißverschlüssen und Taschen für Schmerzpumpen hat das Label kürzlich auf der YES!CON ausgestellt, Deutschlands größter Krebs-Convention auf dem EUREF-Campus in Berlin. “Vertreter der Charité sind auf uns aufmerksam geworden”, berichtet Stetter. “Wir planen, einen gemeinsamen Testlauf bei Bestrahlungen und Chemotherapien durchzuführen.”
Bisher ist das Krankenhaushemd von 2025 noch das gleiche wie das von 1975. Aber das könnte sich bald ändern, hofft Designerin Stetter. Schließlich sei Mode ein wichtiger Teil der menschlichen Identität. Daran ändere auch Krankheit nichts.