ERFURT – Wissenschaftler vermelden überraschende Erkenntnisse zur Herkunft einer bedeutenden Figur im katholischen Erfurter Dom. Die angeblich von einem „Wolfram“ gestiftete lebensgroße Bronzestatue habe vermutlich eine jüdische Vorgeschichte, teilte die Universität Erfurt mit. Zu diesem Schluss sei ein Team um den Erfurter Religionswissenschaftler Jörg Rüpke gekommen.
Die neuen Erkenntnisse gehen auf jüdische Handschriften von kurz vor 1300 zurück. Während des Pogroms von 1349 sei die Figur dann aus der Synagoge entfernt worden und bis 1425 in den Erfurter Mariendom gelangt. Sie habe fortan als Leuchter für ein universitäres Nachtgebet gedient. Den Namen Wolfram erhielt die Figur nach einer Inschrift auf ihrem Gürtel.
Rüpke sieht es als erwiesen an, dass der Wolfram nicht wie bisher angenommen einen Büßer darstellt, sondern den jüdischen Hohepriester Aaron. Statt als Kerzenhalter hat die Figur demnach früher als Träger für die Tora-Rollen in einer Synagoge gedient. Dafür sprechen nach Ansicht der Experten der Universität Indizien wie Körperhaltung und Maße, die exakt denen der Schriftrollen gleichen. Auch verweisen sie auf Bezüge in Handschriften des 13. Jahrhunderts, die auf den Tora-Halter hinweisen.
Allerdings kollidiert diese Sicht mit dem allgemeinen Bilderverbot im Judentum. Die Wissenschaftler argumentieren deshalb, dass es zumindest im Mittelalter – anders als bisher von den Fachleuten angenommen – ein solches Bilderverbot in der alltäglichen Religionsausübung nicht gab.
Laut Universität ist der Wolfram ein Unikat. Eine vergleichbare lebensgroße Darstellung eines Menschen als freistehende Bronzefigur fehle im hochmittelalterlichen Europa.
Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Schramm, hatte anschließend in mehreren Interviews angekündigt, sich um eine Rückgabe bemühen zu wollen. Das Bistum Erfurt will zunächst die Publikation der Forschungsergebnisse abwarten. epd
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Kirchliche Statue hat wohl jüdische Wurzeln
Die lebensgroße Bronzestatue im Erfurter Dom stand wahrscheinlich als Halter von Tora-Rollen in einer Synagoge. Erst nach einem Pogrom erhielt sie ihren Platz als Leuchterfigur in der Kirche
