22 Jahre lang leitete Gunter Moll die Erlanger Kinderpsychiatrie. Welche Gefahren er in der Digitalisierung für Heranwachsende sieht und was er alternativ empfiehlt.
Immer mehr Menschen, vor allem jungen Leuten fehlt nach den Worten des Erlanger Kinderpsychiaters Gunther Moll der Bezug zu sich selbst und ihrem Leben. “Wir Menschen sind ein lernendes Sinnessystem. Das basiert aber auf echten Kontakten, echten Erfahrungen und Erlebnissen”, sagte der 67-Jährige der “Nürnberger Zeitung” (Donnerstag). Ältere würden den Unterschied zwischen virtuell und real noch kennen. Doch zunehmend mehr Kinder hielten das Virtuelle für echt. So lernten sie nicht, ein Gefühl für ihr Wohlbefinden zu entwickeln. “Auch werden die kleinen Gehirne in einer künstlichen Welt der Algorithmen groß, die sie nicht durchschauen.”
Das Handy bereite einen nicht auf das Leben vor, gab der Psychiater zu bedenken. Vielmehr überfordere es das Gehirn mit zu vielen unwichtigen Dingen. “Je mehr ich auf Erlebtes bauen kann, desto weniger bin ich manipulierbar. Wenn Sie einen Raum betreten und sofort spüren, ob die Stimmung gut oder schlecht ist, ist das erlerntes Wissen.” Ein solches sammle man nicht im Internet. Hinzu kämen die vielen toxischen Inhalte und schlechten “Vorbilder” im Netz, so der Experte.
Moll verwies darauf, dass viele Heranwachsende mehr Stress und mehr Druck hätten, dafür weniger Gemeinschaft und Freiräume, um sich auszuprobieren. Dazu komme weniger Bewegung und weniger Schlaf. Das führe unter anderem zu mehr Einsamkeit und mehr Auffälligkeiten im Sozialverhalten. “Wir leben nicht mehr im Rhythmus unserer eigenen Natur”, sagte der Arzt.
Bei vielen Kindern führten ungünstige Entwicklungs- und Lebensbedingungen zu Störungen, erläuterte der Fachmann. Er plädierte dafür, Sport-, Kunst- und Musikunterricht in den Schulen zu verdreifachen sowie dort auch gesundes Essen einzuführen. Der Lehrplan sei um die Hälfte zusammenzustreichen. Die Kinder sollten aktiver werden, Körperbewusstsein und Eigeninitiative gelte es zu stärken. Weiter sprach er sich dafür aus, wie in Australien Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren zu verbieten.
Moll leitete laut der Zeitung 22 Jahre die Erlanger Kinderpsychiatrie. 2024 ging der 67-Jährige demnach in den Ruhestand.