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„Keine getrübten Farben“

Wenn der Oktober zu Ende geht und die bunten Blätter am Boden liegen, ist grau die vorherrschende Farbe. Vielen Menschen schlägt das fehlende Licht und die mangelnden Farben auf das Gemüt. Ein Forscher weiß Mittel gegen den November-Blues

Gerhard Baeuerle

Nach dem strahlend bunten Herbstlaub dominiert spätestens im November die Farbe Grau. Was das mit Menschen macht und wie man dem November-Blues durch mehr Farbe im Leben entgegenwirken kann, erläutert der Berliner Farbforscher und Farbtrend­scout Axel Venn im Interview mit Angelika Prauß.

– Herr Venn, gefühlt ist der Herbst trist und ungemütlich. Wie sehr beeinflussen das Grau, Dunkelheit und Nässe unsere Stimmung tatsächlich?

Die Wirkung ist enorm. Es gibt eine Art Tabelle der Farben als Stimmungsbarometer für die verschiedenen Jahreszeiten und Monate. Im Juli und August liegt der Wert auf dem Stimmungsbarometer bei durchschnittlich 8 bis 9 von zehn Punkten; im Oktober und November dagegen geht das runter bis auf 4,8 Punkte. Der November und der Januar gelten als die schlimmste Zeit; es sind auch in der Natur die farblosesten Monate. Die Farbigkeit und das Wohlgefühl bei genügend Licht spielen also eine ganz große Rolle.

– Wie können Farben überhaupt unser psychisches Wohlbefinden beeinflussen?

Das Sehen ist ein Vorgang, der über die Lichtzellen im Auge geschieht; die Zapfen erkennen Schwarz-Weiß und die Stäbchen das farbige Licht. Das wird von den Sehzellen aufgenommen und chemografisch verarbeitet und zum eigentlichen Sehzentrum im Hinterhauptlappen weitergeleitet. Dort werden die Wellen des Lichtes zu Farbigkeit verarbeitet. Dabei werden dann auch Gefühle und Stimmungen aktiviert.

– Welche Farben empfehlen Sie für die graue Jahreszeit, um dem Blues entgegenzuwirken?

Ich rate zu freundlichen, hellen Tönen und wenig getrübten Farben. Sanfte Pfirsich- und Blütentöne, Hauttöne, Gelb, Orange, lichtes Bleu sind immer gut. Bleu ist beispielsweise auch immer ein romantisches Signal. Das bedingt dann sehr sen-suelle Nebeneffekte, die mitschwingen, wenn wir beispielsweise diese Farbe und andere sanfte Sorbetnuancen sehen. Bei Bleu denken wir auch an Töne: ein Horn, leichtes Flötenspiel. Wir können die Farbe quasi fühlen, tasten, schmecken, hören. Farben und ihre synästhetischen Zugaben machen gute Laune.

– Was kann man in der dunklen, ungemütlichen Jahreszeit ganz konkret tun, um mehr Farbe ins Leben zu bringen?

Dafür brauchen wir zunächst viel Helligkeit in den Räumen – selbst wenn es künstliches Licht ist. Kerzenschein geht auch. Es sollte pro Raum nicht nur eine einzige Lichtquelle, sondern verschiedene Lichtangebote geben, sie beleben einen Raum. Drei Stehlampen im Raum und ein Licht von der Decke oder Wand dezentral leuchtend, werden als angenehm empfunden. Das bringt auch typische Tageslichtszenarien. Vor allem aber sollte es keine weißen Wände geben, die sind schrecklich!

– Kann es also helfen, die Wohnung umzustreichen oder Kleidung in warmen, angenehmen Farben zu tragen?

Natürlich. Es sollte dabei nicht zu bunt, aber auf jeden Fall farbig sein. Man sollte nicht gleich die ganze Wohnung in Orange streichen, aber man kann sie ja unterschiedlich tönen. Für mich gehört zur Gestaltung immer ein Masterplan dazu; man kann etwa mit einem einfachen Malkasten experimentieren. Die Töne sollten dabei nicht zu grell, sondern pastellig sein. Das entspricht auch viel mehr unserer Naturwahrnehmung. Häufig versuchen die Menschen, in der Wohnung Akzente zu setzen, sie streichen eine Wand kräftig rot, grün oder blau. Das ist aber meist ein Zuviel an Farbe.

– Wenn ich freundliche Farben trage, sieht das aber mehr mein Gegenüber, als dass ich mich selbst in der Farbe wahrnehme…

Wir tragen Kleidung und verwenden Schminke, um anderen ein Signal zu vermitteln. Und dann bekommen wir ein Echo. Bunte Kleidung signalisiert – mir geht‘s gut, ich will Spaß. Über Farben werden das eigene ästhetische Empfinden und die Persönlichkeit dargestellt. Wenn eine Frau die Lippen rot geschminkt hat und ein kräftiges Rot trägt, dann sagt das etwas über sie aus. Es ist eine Mitteilung an ihre Umwelt, und eine positive Resonanz tut uns wiederum gut. Aber natürlich schauen wir automatisch auch selbst an uns herunter und testen die farbliche Wirkung unseres Outfits.

– Wie sehen denn die aktuellen Farbtrends für diesen Herbst aus?

Herbstfarben sind immer etwas gedeckter als die Frühlingsfarben. Im Grunde genommen wiederholen sie sich – nur in einer etwas gesetzteren, getrübteren Farbigkeit. Momentan beobachte ich immer noch sehr viel Blau, zum Teil bis in den Herbst hinein sogar strahlende Blautöne. Weiterhin ist Korallrot angesagt und ein kräftiges Portugiesisch-Gelb, fast ein Terracotta-Gelb. Gelb ist natürlich immer ein Dauerbrenner. Auch Schwarz ist aus der Kleidung nicht wegzudenken. Als Nebenfarben spielen Khaki-Töne, gebrochene Grün-, Braun- und Grau-Braun-Töne eine große Rolle.

-Gefühlt sind doch warme Gelb-, Orange- und Brauntöne Herbstfarben – wie sieht denn ein herbstliches Blau aus?

Man muss dieses Blau nur trüben mit etwas Grün, Braun und etwas Schwarz und schon bekommt man ein sehr elegantes Kaschmir-Blau. Dann ist das ganz edel, dann ist das Blau nicht mehr strahlend, sondern es schluckt das Licht schon fast, so ähnlich wie es bei Samt geschieht.

– Wie und von wem werden überhaupt solche Trendfarben hinter den Kulissen der Modeindustrie bestimmt?

Das machen Trendpanels, ich bin in zwei solcher Gremien in Belgien und in Deutschland dabei. Mit Designern und Marketingleuten filtern wir jeweils über zwei Tage Farben heraus, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, in den nächsten Saisons einen Platz zu finden. Das Farbensemble, das sich schließlich herausbildet, muss eine Harmonie bilden. Wichtig ist: Die Farben bekommen einen Namen, sie werden codiert – und dann bekommen sie eine Legende. Farben müssen Geschichten erzählen, ein Farbtrend braucht eine tolle Story: Die Wirkung und Vorteile der Farben müssen benannt werden, sie müssen immer Zukunft beschreiben. Aber diese muss auch mit einer Portion Vergangenheit vernetzt werden. Denn es müssen auch immer Erinnerungen bedient werden, etwa an vergangene Modeszenen, Publikationen, Bücher oder Filme. Man muss bei Trends immer solche Brücken bauen, damit sie wirklich wahrgenommen und akzeptiert werden.