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(K)ein Tag der Ruhe

Die Sabbatruhe ist eine der Grundlagen des jüdischen Glaubens. Aber sie war schon früh umkämpft: Der Alttestamentler Reinhard Achenbach zeigt, wie Ideal und Praxis auseinanderfielen

Rafael Ben-Ari - Fotolia

Verkaufsoffener Sabbat im Jerusalemer Tempel? Das kling wie ein Witz – war aber wohl gang und gäbe zur Zeit des Alten Testaments. Über Sonntagshandel und Sonntagsarbeit herrschten schon in der Antike unterschiedliche Auffassungen. Das hat der Alttestamentler Reinhard Achenbach von der Universität Münster bei der Untersuchung biblischer und außerbiblischer Texte herausgefunden. „Der arbeitsfreie Sabbat war zwar im Alten Israel als wöchentlicher Fest- und Ruhetag ein verbreitetes Ideal, aber die Praxis und Rechtslage wichen mitunter davon ab“, sagt Achenbach.
Schon in der frühen Phase des wöchentlichen Sabbats herrschten selbst in der Gruppe der Juden wohl keine einheitlichen Haltungen und Praktiken. „Das war in der damals religiös vielfältigen Gesellschaft nicht anders als in unserer heutigen“, so der Experte für biblische Rechtsgeschichte. „Die Priester am Jerusalemer Tempel forderten ab dem 5. Jahrhundert vor Christus, dass alle Israeliten den siebten Tag strikt als Tag Gottes begehen sollten – mit Gottesdienst und ohne Arbeit für Mensch und Tier. Doch die Praxis sah anders aus, und zum staatlichen Gesetz wurde das religiöse Gebot lange Zeit nicht.“

Kaum genaue Regeln für die Sabbat-Feier

Detaillierte Regeln für den Sabbat gab es indes kaum: Die jüdischen Gelehrten entwickelten zwar ab dem 5. Jahrhundert vor Christus in der Torah eine „ausführliche Theologie des Sabbats“ und flochten ihn in die biblische Schöpfungsgeschichte ein, wie Achenbach erläutert – aber: „Es finden sich sonst kaum Regeln für das, was die Texte nun stets ‚Sabbat‘ nennen“, erklärt Achenbach. „Das ließ in der Praxis viel Raum zur Interpretation.“
Beispiel Gemüsetransport am Sabbat: Während die Bibel an vielen Stellen das Tragen von Lasten verbietet, lässt sich im „Elephantine-Papyrus CG 152“ aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts nachlesen, wie ein ägyptischer Jude auf der Nil-Insel Elephantine geradezu gedrängt wird, eine Schiffslieferung Gemüse sicherzustellen – ausdrücklich im Namen Gottes. „Die verderblichen Lebensmittel sollten als wertvolle Fracht sehr wohl transportiert werden dürfen“, vermutet der Theologe.
Ein anderes Beispiel für die Abweichung vom Gebot: Aus dem 3. Jahrhundert vor Christus ist im Buch Nehemia 10,32 überliefert, dass Händler Waren an Sabbattagen in den Tempel brachten. „Das Gebot galt zu dieser Zeit noch lange nicht im juristischen Sinn – und wurde so auch im Tempel und in seinen Vorhöfen nicht immer befolgt“, erläutert Achenbach. Die Einhaltung des Sabbatgebotes blieb damit nach den Worten des Wissenschaftlers lange Zeit Kennzeichen der gläubigen Juden, die aus religiösen Motiven entschieden, am Sabbat bei den Händlern nicht zu kaufen.
Theologisch verbanden die Gelehrten und Gläubigen mit dem streng formulierten Sabbatgebot die Vorstellung, das Volk Israel solle ganz auf die Fürsorge seines Gottes vertrauen, symbolisiert durch das Ruhenlassen der Arbeit, das ja der eigenen Versorgung diente. Für wen das Gebot galt, wurde schon damals unterschiedlich betrachtet, wie Achenbach darlegt: „Nachdem die priesterlichen Schreiber den Sabbat nachträglich in die biblische Schöpfungserzählung eingeflochten hatten, konnte das Gebot prinzipiell für alle Welt gelten.“ Die meisten Juden betrachteten es aber als strenge Ausnahme, wenn interessierte Fremde sich ihrer religiösen Gemeinschaft zeitweise anschließen wollten. „Sie sahen den Sabbat als Zeichen für den Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk – weshalb es im Laufe der Jahrhunderte zu ihrem Kerngebot und zum Erkennungszeichen ihrer religiösen Gemeinschaft wurde.“

Ursprünglich ein Vollmondfest

Der älteste Beleg für die Regel, am siebten Tag zu „ruhen“ (hebr. shabat) in 2. Mose 23,12 hatte vor allem den Sinn, die Arbeitskraft von Mensch und Tier zu schonen, insbesondere der Frauen, Kinder und der Migranten. Daneben gab es jahrhundertelang ein Vollmondfest, das Juden einmal im Monat als Tag Jahwes mit Opfer- und Reinheitsritualen begingen, welches von den Babyloniern „Shabbatu“ genannt wurde.
Zum wöchentlichen religiösen Fest- und Ruhetag, aus dem später der christliche Sonntag hervorging, wurde der Sabbat erst in der Epoche des Babylonischen Exils im 6. Jahrhundert vor Christus. „Die Israeliten mussten in dieser Exilzeit Feldarbeit leisten und hatten kaum Gelegenheit, den Vollmond-Sabbat und andere religiöse Feste zu begehen.“ So machten sie das Ausruhen am siebten Tag – das vor dem Exil bereits als soziale Regel galt – zu ihrem festen Brauch und werteten ihn religiös auf. „Das geschah, indem Gelehrte die religiöse Autorität des monatlichen Sabbats als Tag Gottes ausweiteten und im fünften Buch Mose innerhalb der Zehn Gebote den siebten Tag zum gottgeweihten Tag des Volkes Jahwes erklärten“, so  Achenbach. „Durch den Einfluss der nach-exilischen priesterlichen Schreiber wurde das Sabbatgebot eine Lex Sacra, ein heiliges Gesetz, eine fundamentale rituelle Regel als Teil der Torah.“ UK