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Kaum eine Chance

In Ungarn sieht der Alltag der Roma-Gemeinden düster aus: Armut, Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit prägen ihre Dörfer und Siedlungen am Rande der Städte. In den vergangenen Jahren entstanden neue Formen eines gewaltbereiten oder institutionellen Rassismus. Zudem ist unter Viktor Orbáns rechtskonservativer Regierung auch für die Roma-Kultur mit keiner staatlichen Förderung mehr zu rechnen. Doch Maler, Designer und Videokünstler kämpfen weiter um Anerkennung. Mitten in der Budapester Innenstadt finden sie durch private Initiativen Galerien für ihre Kunst.

Von Silviu MihaiBudapest. János Bogdán läuft an den Sperrmüllhaufen im Innenhof vorbei, dann rasch die schäbigen Treppen hoch, bevor er zu dem Raum kommt, in dem er drei Jahre lang gearbeitet hat. „Das ist wahrscheinlich mein letzter Besuch hier“, sagt der 36-Jährige und schaut sich unter seiner Hip-Hop-Kappe das leere Zimmer an. Alle vier Wände und die Decke seines alten Ateliers sind mit Comic-ähnlichen Szenen in Schwarz-Weiß bedeckt, es geht um die Menschen und den Planeten, um Gewalt und auch um Liebe. „Mit einer alternativen Theatergruppe wollte ich hier eine multimediale Performance aufführen, das wäre sozusagen unsere Szenografie gewesen. Bis Ende 2011 haben wir gehofft, dass wir doch noch ein bisschen Zeit haben. Doch im Januar kam die Räumung“, erklärt Bogdán und zeigt auf die Bauarbeiter, die die letzten Objekte aus dem ehemaligen Künstlerhaus räumen, bevor es mit der Sanierungsarbeit losgeht. Das Gebäude in der Hegedü-Straße, unweit vom prächtigen Andrássy-Boulevard mitten in der Budapester Innenstadt, teilte sich der Maler mit mehr als 30 Kollegen und Kolleginnen, bis die neue rechtskonservative Bezirksverwaltung ihre Mietverträge kurzfristig aufkündigte. „Natürlich wusste jeder, dass das politisch motiviert ist. Schließlich arbeiteten hier viele junge, engagierte und kritische Künstler, die die Behörden für nicht national genug halten, weil sie Ausländer sind, oder zu liberal, oder eben ungarische Roma wie ich“, erzählt Bogdán mit einer Mischung aus Empörung und Ironie. Ihre Proteste haben nichts gebracht. Heute arbeitet Bogdán – Künstlername „Amigo“ – gemeinsam mit einem ungarischen und einem iranischen Freund in einem neuen Atelier in Buda, auf der anderen Seite der Donau. János wurde in einer Roma-Familie, in einem Dorf am Balaton (Plattensee) geboren. „Unser Elternhaus war irgendwie typisch, wenn nicht sogar stereotypisch. Es wurde viel musiziert und mein Vater wollte unbedingt, dass ich Geige spiele, obwohl ich nie gut war und ehrlich gesagt nie Lust darauf hatte“, erinnert sich der Maler mit einem breiten Lächeln. „Zum Glück war die Schule gemischt und als kleine Kinder wurden wir bis zu einem bestimmten Punkt gleich behandelt wie die Ungarn.“ Nach der Schule konnte er in Pécs Kunst studieren: für einen Roma in Ungarn definitiv ein Privileg. Heute gilt Amigo in Ungarn als einer der bekanntesten Maler der jüngeren Generation. Wie viele seiner Kollegen nahm er in den letzten Jahren an alternativen Gruppenprojekten teil und konnte mehrmals individuelle Ausstellungen organisieren. (…)

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