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Kabarett zwischen Anstalt und Zirkus

Claus von Wagner ist einer der bekanntesten Kabarettisten Deutschlands. Gemeinsam mit Max Uthoff und Maike Kühl seziert er in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ regelmäßig die politischen und gesellschaftlichen Missstände der Gegenwart, mit seinen Solo-Programmen wie dem aktuellen „Equilibrium“ füllt er die Kabarettbühnen der Republik. Seine ersten Schritte im Business mit der politischen Satire machte er in der Evangelischen Jugend Miesbach. Am 27. Oktober erhält der 47-Jährige die Hauptauszeichnung beim Bayerischen Kabarettpreis 2025. Ein Gespräch über Motivation, Werte und Erwartungen.

epd: Herr von Wagner, Sie sind seit zwei Jahrzehnten im Kabarettgeschäft, Sie haben schon jeden Skandal und Missstand aufs Korn genommen. Was treibt Sie nach dieser Zeit noch an?

von Wagner: Solange die Missstände noch nicht behoben sind – genau das! Ich arbeite also, kann man sagen, unbefristet. Ein Beispiel: Viele Experten und Expertinnen sagen, dass es ein recht einfaches, moderates Mittel gäbe, um die Ungleichheit in unserem Land zu verringern und die Demokratie zu stärken – eine faire Erbschaftsteuer. Aber die derzeitigen Regeln begünstigen reiche Firmenerben so sehr, dass das Bundesverfassungsgericht zum Gesetzgeber sinngemäß gesagt hat: „Habt ihr sie noch alle?“ Wenn man sich fragt, warum das so ist, stößt man auf Berichte über die letzte Erbschaftsteuerreform, bei der selbst Unionsabgeordnete sagten, so einen Lobbydruck hätten sie noch nie erlebt. Ich verurteile Lobbyismus nicht per se, nur manchmal seine Ergebnisse. Denn wenn Lobby-Organisationen wie die Stiftung Familienunternehmen, hinter der hauptsächlich Großkonzerne stehen, knallhart die Interessen der Reichsten verteidigen, weil sie schlicht die größeren Geldbeutel haben – dann haben wir ein massives politisches Ungleichgewicht. Und das in einem Land, das mit Blick auf die Vermögen zu den ungleichsten Ländern der EU gehört! Das macht mich sauer. Das treibt mich an.

epd: Auf der Homepage der Stiftung Evangelische Jugendarbeit in Bayern werden Sie mit dem Satz zitiert: „Die Evangelische Jugend ist und bleibt für mich die Quelle von all dem, was ich bin.“ Was schöpfen Sie aus dieser Quelle?

von Wagner: Das Wertegerüst. Die evangelische Jugend hat mich sehr geprägt – vor allem die Menschen dort, die mir begegnet sind: engagierte, gemeinschaftsorientierte, politische Menschen voller Tatendrang. Ich habe da gemerkt, dass Gemeinschaft nicht nur Trost gibt, sondern auch Kraft. Das speist heute noch meine Art von Kabarett. In der EJ habe ich auch angefangen, mich zu politisieren und satirische Glossen in der EJ-Zeitung „Papperlapapp“ zu verfassen. Oder wir haben uns hingesetzt und böse Briefe an Günther Beckstein geschrieben. Das ist vielleicht nicht die wildeste Form von Protest, aber für uns Protestanten schon fast so etwas wie eine Eskalation. Beckstein war ja damals nicht so ein Knuddelbär wie heute. Er war bayerischer Innenminister mit einer knallharten Abschiebepolitik und zugleich ein hohes Tier im evangelischen Kirchenparlament – quasi Seelsorger und Schlagstock in einer Person. Diesen Gegensatz fanden wir damals, sagen wir mal: kritikwürdig.

epd: Zu dritt in der „Anstalt“, allein auf der Bühne: Was macht Ihnen mehr Spaß?

von Wagner: Allein auf der Bühne! Sorry an die Kollegen und Kolleginnen. Fernsehen mag zwar ein aufregendes Medium mit immer noch recht großer Reichweite sein, und die Möglichkeit, sich in öffentliche Debatten einzumischen, ist interessant. Aber von der Idee bis zur Ausführung muss ein riesiger Apparat bewegt werden – und das ist am Ende viel Kompromiss. Solo zu arbeiten ist direkter, schneller, näher an einem selbst. Eine eigene Idee am Morgen steht abends schon auf der Bühne. Das ist der Ort, wo ich hingehöre. Die Freiheit, mit einem Mikrofon über die Welt nachdenken zu dürfen, und am Ende nicht nur davon leben zu können, sondern auch noch Applaus zu bekommen – das gibt es in keinem anderen Beruf.

epd: Sie haben schon viele Auszeichnungen bekommen, jetzt erhalten Sie – nach dem „Senkrechtstarter“ von 2007 – den Hauptpreis beim Bayerischen Kabarettpreis. Er würdigt „scharfsinniges Kabarett, das auf unverzichtbare Weise die Gesellschaft und das Zeitgeschehen künstlerisch ergründet“. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung? Und was kann jetzt noch kommen?

von Wagner: Der Friedensnobelpreis. Aber ich bin geduldig! Na gut, ehrlicherweise habe ich noch keinen Krieg verhindert, nur vielleicht ein bisschen schlechte Laune… Und um noch ehrlicher zu sein: Nach meinem Hörsturz vor fünf Jahren folgte eine Zwangspause und eine Phase des Selbstzweifels, in der ich dachte, ich kann vielleicht gar nicht mehr auf die Bühne zurück. Danach so eine Auszeichnung zu bekommen, ist fast wie ein kleines Wunder. Und was noch kommt? Im April ein Auftritt im Zirkus Krone in München. Das ist wirklich ein Traum. Wenn mir ein Freund früher gesagt hätte, dass man mit Themen wie Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Schuldenbremse und Konjunkturkomponente in einem Zirkus auftreten darf – ich hätte Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit geäußert. (3306/24.10.2025)