Sind die Deutschen zu empfindlich geworden? Eine Juristin warnt, dass der offene Diskurs zunehmend eingeschränkt werde. Auch mit der AfD und ihren Wählern müsse man reden.
Die Kölner Juristin Frauke Rostalski warnt davor, die AfD und ihre Wähler von gesellschaftlichen Debatten auszuschließen. Eine Brandmauer löse keine Probleme und schwäche das Gemeinwesen, schreibt die Direktorin des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Köln in einem Beitrag für das Magazin “Spiegel”; “zumal es schwer vorstellbar erscheint, wie man weitere vier Jahre ein Fünftel der Bevölkerung dämonisieren und in ihren Interessen ignorieren soll – falls es nicht noch mehr werden, wofür der Trend der vergangenen Jahre spricht.”
Rostalski, die auch Mitglied des Deutschen Ethikrates ist, beklagt, dass der offene Diskurs als Kernstück der Demokratie in Deutschland mehr und mehr verengt worden sei. Zwar sei das Grundrecht auf Meinungsfreiheit weiter gewährleistet. Dennoch hätten immer mehr Bürger das Gefühl, sie könnten ihre politische Meinung nicht frei äußern. Eine Demokratie sei aber auf einen freien Wettbewerb der Meinungen angewiesen, um grundlegende Probleme zu lösen.
Die Juristin erläuterte, dass Beleidigungstatbestände in der Rechtsprechung schon vor Beginn der Ampelkoalition weiter ausgebaut worden seien. Auch gebe es neue Straftatbestände, die die Äußerung zu umstrittenen Konflikten der Gegenwart unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe stellten. “Und auch sonst haben staatliche Maßnahmen der Meinungskontrolle Konjunktur”, sagte Rostalski und verwies auf Einrichtungen wie sogenannte Trusted Flagger, die ihrem durch die Bundesnetzagentur formulierten Auftrag entsprechend nicht bloß unerlaubte Meinungsinhalte im Netz identifizieren und melden sollten, sondern darüber hinaus auch erlaubte.
“In eine ähnliche Richtung gehen verschiedene von Landesbehörden finanzierte Stellen zur Meldung diskriminierender Äußerungen aller Art”; diese müssten “wohlgemerkt nicht die Schwelle zum Verbotenen überschreiten, um gemeldet werden zu können”, fügte sie hinzu. Dazu passe, wenn der frühere Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang auch Meinungsäußerungen “unterhalb der strafrechtlichen Grenze und unbeschadet ihrer Legalität” für den Verfassungsschutz als relevant einstufe.
Rostalski fügte hinzu, dass auch das Verhalten von Bürgern dazu beitrage, dass sich das Klima in öffentlichen Diskursen erheblich verschlechtert habe. Das gelte etwa für rohe Umgangsformen in Sozialen Medien, die gern unter dem Oberbegriff “Hass und Hetze” zusammengefasst würden. Auch führende Bundespolitiker brächten reihenweise Ehrverletzungen zur Anzeige, “die mitunter kaum die Grenze des Bagatellhaften überschreiten”.
Die Juristin weiter: “Dass führende Politiker mittlerweile ersichtlich ein dünneres Fell haben und manche Staatsanwaltschaften und Gerichte hierauf bereit willig mit einer Herabsenkung des Schutzes durch die Meinungsfreiheit reagieren, passt in eine Zeit, in der eine große Empfindlichkeit im Umgang miteinander Einzug gehalten hat.”