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Juristin fordert Gerichte mit Spezialisierung auf Sexualdelikte

Der Umgang mit sexualisierter Gewalt schlägt in der Kunst hohe Wellen: An mehreren deutschen Theatern ist derzeit “Prima Facie” zu sehen, das auch als Roman erschienen ist. Autorin Suzie Miller hat klare Vorstellungen.

Eine andere Erziehung für Jungen und Männer, juristische Reformen und Gerichte, die auf Sexualdelikte spezialisiert sind: Das fordert die australische Juristin und Dramatikerin Suzie Miller. “Es gibt noch immer keine gleichberechtigte Selbstbestimmung der weiblichen Sexualität”, sagte sie im Interview der “Süddeutschen Zeitung” (Wochenende). Zudem sei die Gesellschaft von bestimmten Vorstellungen geprägt, die in der Realität selten vorkämen.

Als Beispiel nannte Miller den “Vergewaltigungsmythos”: Die meisten Menschen dächten bei diesem Stichwort “an das Schulmädchen und den Mann, der hinter dem Busch vorspringt”, sagte sie. “So geschieht es aber meist nicht. Für eine Frau ist es viel verwirrender, dass jemand, dem sie vertraute, jemand, mit dem sie vielleicht schon intim war, sich plötzlich so verhält.”

Wenn eine Betroffene den Täter trotz der Tat etwa zum Abschied umarme, könne dies ein Versuch sein, lebend aus der Situation herauszukommen: “Denn wenn der Täter denkt, sie rennt direkt zur Polizei, würde er sie vielleicht umbringen. Das ist eine berechtigte Angst.” Auch reagierten Frauen häufig nicht mit Kampf oder Flucht, sondern erstarrten, um zu überleben, oder versuchten, sich mit dem Täter gut zu stellen. “Beide Methoden werden vor Gericht eher als Einvernehmen gedeutet”, kritisierte die Autorin.

Wer einen Übergriff öffentliche mache, werde sofort gefragt, warum man überhaupt mitgegangen sei. Auch sei es bis vor ein paar Jahren in australischen Gerichten “nicht unüblich” gewesen, die Unterwäsche des Opfers im Gerichtssaal zu zeigen. “Spitzenunterwäsche ist keine Einladung zu einer Vergewaltigung”, mahnte die Juristin. Auch argumentierten Gerichte mitunter mit “abseitigen Details” wie: “Wenn du dich nicht an die Farbe der Lampe erinnerst, woher willst du dann wissen, dass du vergewaltigt wurdest?” Miller: “Wir müssen dieses Paradox überwinden.”