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Jedes Buch ein eigener Charakter

Liegt es vielleicht auch an der nüchternen, lieblosen Gestaltung, dass so wenig Leute gerne in der Bibel lesen? Ein Professor für Schriftgestaltung hat der Heiligen Schrift mit seinen Studierenden eine neue Gestalt gegeben: die Bielefelder Bibel

Schmuckloser Druck, hauchdünnes Papier und fast so schwer wie ein Ziegelstein: So sieht eine Bibel normalerweise aus. Durch den fortlaufenden Text passen alle 66 einzelnen Bücher in einen Band. Das ist praktisch  – aber nicht besonders schön.

Das jedenfalls fand Dirk Fütterer vor rund zehn Jahren, als er nach langer Zeit mal wieder eine Bibel in der Hand hielt. Beim Durchblättern war der Professor für Schriftgestaltung an der Fachhochschule Bielefeld beeindruckt von der Spannung und Wortgewalt der Texte. Das nüchterne Schriftbild aber störte ihn. Nicht gerade einladend für jemanden, der die Bibel entdecken wollte.
Das muss doch auch anders gehen, dachte Fütterer, und fing an, über eine neue Gestaltung der Heiligen Schrift nachzudenken. Gut lesbar sollte sie sein und schön anzuschauen, auch ohne Bilder. Und vor allem sollte durch das Schriftbild auch die poetische und emotionale Kraft der Texte sichtbar werden.  „Ich möchte dem Leser die Möglichkeit geben, beim Durchblättern etwas neu zu entdecken“, erklärt Fütterer.
Der Grafiker fing an zu forschen: Wie sahen Bibeln früher aus – angefangen bei den Schriftrollen der Tora über die Handschriften des Mittelalters bis hin zu den ersten gedruckten Ausgaben? Dabei stellt er fest, dass die heute vertraute einbändigie Form der Bibel relativ jung ist. Früher bestand sie aus vielen Bänden, und jeder davon sah anders aus, je nach Können und Neigung der Schreiber.
Seine Idee einer Neugestaltung brachte Fütterer mit in eines seiner Seminare – und war überrascht, mit welcher Kreativität und Leidenschaft sich seine Studentinnen und Studenten an die Arbeit machten. Aber der Weg vom „Herumspinnen“, wie Fütterer es nennt, bis zu einer realen Bibelausgabe war weit. Schließlich meldete der Herder-Verlag Interesse an und vermittelte den Kontakt zu Theologen der katholischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt. Die Theologin Melanie Peetz begleitete von nun an das Hochschulprojekt „Literarische Bibel“ und erklärt den Design-Studenten, welche theologischen und literarischen Gattungen im Alten und Neuen Testament vertreten sind – während die Gestalter überlegten, welches Druckbild Briefen und Geschichtserzählungen, Gedichten und Gesetzestexten angemessen ist. Klar war: Jedes einzelne Buch, von 1. Moses bis zur Offenbarung des Johannes, sollte individuell gestaltet werden – so, wie es dem Charakter des Buches entsprach. Für die Jona-Geschichte etwa wurde eine Schrift gewählt, die an ein Kinderbuch erinnert, weil es sich um eine märchenhafte Erzählung handelt. Beim Buch Hiob kommen die Reden des klagenden Hiob am unteren Rand der Seite zu stehen, während Gottes souveräne, ordnende Antworten vom oberen Rand her erfolgen. Und die Briefe des Paulus liest man in einer Art Schreibmaschinen-Schrift.
Viele Details mussten entschieden werden: Wie verläuft die natürliche Betonung in den poetischen Texten der Psalmen oder Sprüche, und wie kann man sie durch den Zeilenverlauf unterstützen? Soll es die gewohnten Verszahlen geben oder nicht? Und nach welcher Übersetzung soll der Bibeltext eigentlich gestaltet werden?
In den meisten Fällen entschieden Fütterer und seine Studentinnen und Studenten zugunsten der Lesbarkeit, auch wenn damit Gewohntes aufgegeben wird. Also gibt es in der Bielefelder Bibel keine Verszahlen im Text  – „weil die häufig eine Betonung unterstellen, wo keine hingehört“, wie Fütterer erläutert. Nichts soll den Lesefluss unterbrechen. Durch die besondere Gestaltung des Textes sollen sich Sinnzusammenhänge von selbst erschließen.
Als Grundlage wählten die Bielefelder die so genannte Herder-Übersetzung. „Wir hätten auch gerne den überarbeiteten Luther-Text genommen, aber der war ja noch nicht fertig“, erklärt Fütterer. Grundsätzlich sei die Neugestaltung des Bibeltextes jedoch auf jede Übersetzung anwendbar.
Manche Ideen mussten auch aufgegeben werden. So soll die Bielefelder Bibel, die wie mittelalterliche Manuskripte nach ihrem Entstehungsort benannt wurde, nicht in 66 Einzelbänden erscheinen, wie zunächst geplant, sondern nur in fünf. Gerade ist eine Probeausgabe auf den Markt gekommen, für die die Buchgestalter 21 Bücher aus dem Alten und Neuen Testament exemplarisch ausgewählt haben – 688 Seiten dick und rund ein Kilo schwer, in festes Leinen gebunden. Dirk Fütterer hat den Band bereits in einigen Gemeinden vorgestellt und war selbst überrascht über das positive Echo, das er dort bekommen hat. „Leute, die ihr Leben lang in der Bibel gelesen haben, waren wirklich begeistert“, erzählt er. „Die freuen sich richtig, dass sie jetzt ihre vertrauten Texte noch mal neu entdecken können.“
Und wie ist es ihm selbst ergangen in diesen mehr als zehn Jahren, in denen er sich derartig intensiv mit den Texten der Bibel beschäftigt hat? „Zwei Bücher habe ich in dieser Zeit besonders entdeckt“, erzählt Fütterer. „Das Matthäusevangelium, weil ich das selbst gestaltet habe und es jetzt bis ins letzte Komma hinein kenne – und das Buch der Sprüche. Das spricht so unmittelbar und aktuell in unsere heutige Zeit hinein, dass man nur staunen kann.“

Bielefelder Bibel Auswahlausgabe. Herausgegeben von Dirk Fütterer und Melanie Peetz. Herder-Verlag, 688 Seiten, 69 Euro.