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Israels Militärzensur schränkt Berichte über Kriegsschäden ein

Medienberichte von Raketeneinschlägen zeigen Israels verwundbare Seite. Das will die Regierung unterbinden. Um der nationalen Sicherheit willen droht sie ausländischen Sendern mit harten Strafen.

Im Raketenkrieg mit dem Iran schränkt Israel die Berichterstattung von Medien ein. Die Regierung will verhindern, dass Teheran präzise Aufschlüsse über Einschlagsorte und Wirkung seiner Waffen erhält, aber auch zur Reaktionsweise von Sicherheits- und Rettungskräften – alles Informationen, die dem Feind helfen könnten, seine Strategie zu verfeinern. Als Paradebeispiel nennt die Regierung den Angriff vom 16. Juni auf Haifa: Der arabische Sender Al-Dschasira übertrug live, wie Raketen im Gebiet der Ölraffinerien niedergingen.

Nach einer Direktive vom 18. Juni muss nun jede Berichterstattung von Kampfzonen oder getroffenen Zielen vom Militärzensor vorab und schriftlich genehmigt werden – sowohl hinsichtlich des Ortes als auch des Inhalts und selbst dann, wenn es sich um Ereignisse handelt, die schon in Sozialen Medien kursieren. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen.

Die Gründe liegen teils auf der Hand. Aufnahmen von Einschlagsorten erleichtern es dem Iran, den Erfolg der Raketen zu messen und künftige Angriffswellen zu kalibrieren. Die verbreiteten Informationen können Hinweise auf Stellungen der israelischen Luftabwehr und auf mögliche Lücken im Schutzschirm enthalten. Ein Problem in dem Zusammenhang ist das Geotagging, die Einbettung von Standortdaten in Fotos und Videos. Nicht zuletzt lassen sich Bilder von Zerstörung oder gar Chaos propagandistisch nutzen.

Israels Militärzensor, Brigadegeneral Kobi Mandelblit, versucht deshalb, selbst Soziale Medien einzuhegen. Theoretisch fallen private Posts und geteilte Videos genauso unter die Zensurverordnung wie Beiträge etablierter Sender und Zeitungen. Die Revolutionsgarde im Iran kündigte für den Austausch von Informationen, die als Unterstützung Israels gewertet werden könnte, ebenfalls harte Strafen an. Laut Medienberichten rief das Staatsfernsehen sogar dazu auf, Whatsapp von Privathandys zu löschen.

Die Restriktionen in Israel fielen nicht wie ein Blitz vom Himmel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu liegt mit einer kritischen Medienöffentlichkeit schon länger im Clinch. 2018 bekam das Nachrichtenprogramm Hevrat HaHadashot des Senders Kanal 12 die Parlamentsberichterstattung entzogen. Auch an den Einschlagsorten iranischer Raketen wies das Militärpresseamt Kamerateams von Kanal 12 zurück. Vergangenen November kappte das Kabinett Verbindungen zur liberalen Zeitung “Haaretz” und untersagte staatlichen Einrichtungen, dort Anzeigen zu schalten.

Die Spannungen zwischen der Rechtsaußen-Regierung und den Medien verschärften sich während des Gaza-Kriegs. Laut dem israelisch-palästinensischen Magazin “+972” unterband der Militärzensor vergangenes Jahr 1.635 Artikel und verfügte Auflagen für weitere 6.265. Im Vergleich dazu gab es im Gaza-Konflikt 2014 dem Magazin zufolge im Schnitt täglich rund zehn Zensur-Eingriffe, in Friedenszeiten 6,2. Jetzt sind es statistisch 21 Interventionen pro Tag – mehr als das Dreifache.

Um ihren jüngsten Schritt in der Medienkontrolle rechtlich zu untermauern, beruft sich Israels Regierung auf ein Notstandsgesetz von 1945 – das also noch aus der britischen Mandatszeit stammt. Es ermöglicht, nicht nur Militärgeheimnisse betreffende Veröffentlichungen zu verhindern, sondern allgemein auch solche, die nach Einschätzung des Zensors die öffentliche Ordnung gefährden könnten.

1949, kurz nach der Staatsgründung Israels, wurde die Abschaffung dieser weit gefassten Bestimmung erwogen, aber verworfen. Zur Anwendung kam das Gesetz das erste und bislang einzige Mal 1988. Damals zeigten ausländische Sender, wie israelische Soldaten in den besetzten Gebieten palästinensische Gefangene prügelten. Im israelischen Fernsehen waren die Szenen nicht zu sehen.

Wenn es um die aktuelle Strafandrohung für ausländische Medien geht, argumentiert Kommunikationsminister Shlomo Karhi (Likud), die Pressefreiheit stehe “nicht über der Sicherheit israelischer Bürger und Soldaten”. Genau wie israelische Reporter würden nun auch ausländische Korrespondenten der Militärzensur unterworfen, sagte Karhi laut der israelischen Zeitung “Ynet-News”. Sein für nationale Sicherheit zuständiger Amtskollege Itamar Ben-Gvir (Jüdische Stärke) kommentierte: “Die Medienanarchie der ausländischen Presse ist vorbei.” Man werde “nicht zulassen, dass Agenten der Hamas, der Hisbollah oder des Iran von israelischem Gebiet aus senden”.

Auf die Forderung von Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, die sachlichen und gesetzlichen Grundlagen der neuen Zensurbestimmungen darzulegen, reagierten die Minister befremdet. Man sei verwundert über diese Anfrage “mitten im Krieg”, hieß es in der schriftlichen Antwort am Sonntag. Das Verhältnis zwischen der Regierung und Baharav-Miara ist ebenfalls nicht friedlich. Seit März arbeitet das Kabinett an ihrer Amtsenthebung.

In der Stellungnahme der Regierung für die Generalstaatsanwältin – ihr Vorgänger Avichai Mandelblit ist ein Cousin des Militärzensors – ist von einem “optimalen Gleichgewicht zwischen der Wahrung der nationalen Sicherheit und der Medienfreiheit im Staat Israel” die Rede. Im Übrigen wollten die Minister festhalten, “dass die ausländischen Sendern zugestandene Meinungsfreiheit nicht mit der Meinungsfreiheit israelischer Bürger identisch ist”.