Es passiert immer wieder: E-Mails, ob privat an einen Arzt geschrieben oder beruflich verfasst, werden nicht beantwortet. Das totale Nichts ärgert Absender sehr. Wie man dem Problem begegnen kann.
“Denke daran, dass Schweigen manchmal die beste Antwort ist”, sagt der Dalai Lama. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation ist es allerdings die schlechteste: Zum eigenen Ärger begegnet man der Nichtreaktion eines Gegenübers immer wieder. Was am Telefon oder im persönlichen Gespräch eher selten stattfindet und als totaler Affront gewertet werden würde – angenommen, der Angesprochene antwortet auf eine Frage oder ein konkretes Anliegen von Angesicht zu Angesicht einfach nicht -, ist in der Mail-Kommunikation durchaus üblich. Dem Unmut des Gegenübers ist man ja in keiner Weise ausgesetzt.
Forscher der University of Southern California haben das Mail-Verhalten schon vor einigen Jahren untersucht. Insgesamt analysierten sie 16 Milliarden Mails. Demnach antworten 90 Prozent aller Menschen innerhalb von einem oder zwei Tagen auf eine E-Mail – Frauen im Schnitt eher als Männer. Heraus kam aber auch: Wer länger als zwei Tage auf eine Antwort wartet, kann aufgeben – dann kommt meistens nichts mehr.
“Meine These ist, dass durch die Mediatisierung, die uns viel mehr Möglichkeiten gibt, zu kommunizieren, es gleichzeitig auch mehr Möglichkeiten gibt, zu schweigen”, sagte die Linguistin Sina Lautenschläger, die Schweigen in digitaler schriftlicher Kommunikation erforscht, in einem Interview des Deutschlandfunks. Leicht zu ertragen sei dies für den Empfänger nicht: Je weniger Kontext Schweigen habe – wenn etwa Mimik oder Gestik weg fallen – desto ominöser werde es.
Eine Situation, die vielen bekannt sein dürfte: Man fragt sich zunächst, ob der Empfänger die Mail überhaupt erhalten hat oder ob vielleicht mit der Technik etwas nicht stimmt. Danach dreht sich das Gedankenkarussell weiter; es fällt schwer, die Nichtantwort nicht persönlich zu nehmen und sich nicht zu ärgern.
Muss man jede E-Mail beantworten? Nach Einschätzung der Deutschen Knigge-Gesellschaft kommt es dabei auf den Inhalt an. “Wer bei der Arbeit oder privat eine Mail mit einer direkten Frage erhält und darauf nicht antwortet, verhält sich grob unhöflich”, sagt Linda Kaiser von der Deutschen Knigge-Gesellschaft.
Allerdings sei es nicht immer möglich, sofort auf ein Anliegen zu reagieren. “Es gibt eine Faustregel, nach der man innerhalb von 24 Stunden auf eine Mail reagieren sollte.” Im Arbeitsalltag sei es häufig schwierig, dies einzuhalten – “auch weil viel kommuniziert wird, was eigentlich unnötig ist.” Zudem gebe es viele verschiedene Kommunikationskanäle, so dass man leicht die Übersicht verliere.
Grundsätzlich solle man aber “die Verantwortung dafür übernehmen, was man entscheidet. Indem man nicht antwortet, umgeht man die Entscheidung”, erklärt die Benimm-Expertin. Dies sei ärgerlich, weil die schriftliche Kommunikation für problematische Inhalte besonders geeignet sei.
“Die Schriftform verhilft uns zu einer Art Sicherheitsabstand, wenn es darum geht, unangenehme Nachrichten zu vermitteln. In der direkten Kommunikation von Angesicht zu Angesicht fällt dies oft schwerer”, so Kaiser weiter. Absagen zum Beispiel ließen sich schriftlich leichter an Mann oder Frau bringen als im direkten Gespräch.
Da es nicht immer möglich sei, schnell auf alles zu antworten, “sollte man zunächst sortieren, was gerade sehr wichtig ist und was nicht”, sagt Kaiser. “Schön ist aber auf jeden Fall, wenn man kurz um Entschuldigung bittet, wenn man die Zeitspanne von 24 Stunden nicht einhalten kann. Das stimmt das Gegenüber milde – man selbst würde sich auch darüber freuen.”
Für eine kurze Antwort, die etwa signalisieren soll, dass man etwas erhalten hat oder sich für etwas bedankt, seien auch vorgefertigte Antworten – etwa durch Künstliche Intelligenz (KI) – eine Möglichkeit. “Das ist vielleicht keine wertschätzende Kommunikation, aber besser als nichts”, sagt Kaiser.
Die Universität Duisburg-Essen hat auf ihrer Website eine Art E-Mail-Knigge eingestellt, in dem sie ihren Mitarbeitern Regeln an die Hand gibt, um für eine gute digitale Kommunikation zu sorgen. Als grundlegenden Tipp gibt die Unternehmenskommunikation hier folgenden Hinweis: Stets solle “hinterfragt werden, ob eine E-Mail das richtige Kommunikationsmittel ist oder ein kurzes Gespräch oder Telefonat besser geeignet wäre. Fragen Sie sich: ‘Warum sende ich?'” Mit anderen Worten: Ist ein Anliegen sehr dringend, ist es mitunter zielführender, die Frage auf analogem Weg zu klären.