Achtsamkeit – man findet den Begriff inzwischen in der Meditationspraxis und Psychotherapie genauso wie in Unternehmensprozessen. Häufig ist die Bezeichnung auch in Wellness-Angeboten oder als Lifestyle-Ergänzungsmittel zu entdecken. Aber meinen alle, die damit umgehen, auch dasselbe?
Seit über 2500 Jahren wird diese innere Geisteshaltung in buddhistischen Klöstern eingeübt. Achtsamkeit ist keine Nebensache, sondern ein Grundprinzip im Buddhismus. Und offenbar tut das, was eine achtsame Haltung vermittelt, vielen Menschen in ihrem gestressten und von Medien vollgepumpten Leben gut. Meditative Momente sollen die Alltagshektik heilsam unterbrechen und den Blick auf das Wesentliche ausrichten.
Alltagshektik heilsam unterbrechen
Dabei ist Achtsamkeit nicht so sehr Aufmerksamkeit gegenüber anderen Menschen und dieser Welt. Vielmehr ist es eine „Anleitung zu einer verfeinerten Selbstwahrnehmung“, um „die äußeren Zwänge und den hohen Druck im Leben zu bewältigen“, schreiben Henning Freund und Michael Utsch in ihrer Einführung zur Broschüre „Achtsamkeit aus psychologischer und theologischer Sicht“, die in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) erschienen ist.
Aber ist Achtsamkeit überhaupt ein Alleinstellungsmerkmal buddhistischer Geisteshaltung? Schließlich hat die christliche Tradition ihrerseits geistliche Übungswege zur Sensibilisierung „für die unsichtbare Gegenwart Gottes“ ersonnen: Das Herzensgebet, die ignatianischen Exerzitien oder das betrachtende Gebet sind Beispiele dafür.
In einem Beitrag für die EZW-Publikation stellt der evangelische Theologe Stefan S. Jäger fest, dass die „rechte Achtsamkeit“, die auf den Buddha zurückgeht, „integraler Bestandteil buddhistischer Lehre und Praxis ist“. Er betont aber zugleich, dass sie „sich nicht ohne Weiteres aus diesem Kontext auskoppeln“ lasse. So vertrete die Achtsamkeit in ihrer Ausprägung des Pali-Buddhismus (in der Kultsprache Pali verfasste Sammlungen von Buddhaworten) den Heilsweg schlechthin. Er besteht aus Erkenntnis und Formung des menschlichen Geistes und hat zum Ziel, die menschliche „Verunreinigung“ durch Begierde, Hass und Unwissenheit zu überwinden.
Auf dem Weg dorthin werden zwei Arten von Achtsamkeitsmeditation angeboten: die Samatha- oder „Gemütsruhe“-Achtsamkeit (Beruhigung von Körper und Geist) und die Vipassana oder „Einsichts/Klarblick“-Achtsamkeit (Einsicht in die Leidhaftigkeit, Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit/Leerheit dieser Welt). Man kann sagen: „Das Bewusstsein betrachtet sich selbst wie in einem „Spiegel“ und wird sich so selbst gegenwärtig und durchsichtig.“
Es lassen sich deutliche Parallelen zwischen christlich-jüdischem und buddhistischem Denken beobachten. So ermutigt Jesus seine Jünger, auf die Welt um sich zu achten, die Vögel am Himmel und die Blumen auf dem Feld (Matthäus 6, 26ff.). Er weist sie auf Gottes Fürsorge hin und leitet sie auf den Weg aus der Sorge hin zu einem gelassenen Leben im Heute. Achtsamkeit ist dabei aber keine Einbahnstraße. Unter anderem die Psalmen reden oft davon, dass Gott achthat auf seine Menschen.
Die drei Pfeiler christlicher Achtsamkeit sind: Gebet und Kontemplation, Betrachtung der Vergänglichkeit, um weise zu werden (…damit ihr klug werdet“) und der Blick über die eigene Begrenztheit hinaus (Ewigkeit). Es gehe um ein liebendes Aufmerken auf Gott, sagt Jäger.
Im Gebet ist wohl der größte Unterschied zur buddhistischen Achtsamkeitspraxis zu beobachten. Haben Juden und Christen eine personal gedachte Beziehung zu Gott vor Augen, so geht es dort „um die intuitive Wesensschau der Wirklichkeit als Leerheit“. Jedoch gibt es bei der Vorbereitung und dem Weg dorthin wiederum Schnittmengen. Gemeinsam ist das Bemühen, den Menschen zur Ruhe von Geist und Körper zu führen. Erst so ist gesammeltes Beten möglich, „ohne dass Gedanken und Gefühle, äußere Umstände, Leidenschaften und Anfechtungen davon ablenken“. Die Wüstenväter, aber auch der Mystiker Thomas von Kempen lehrten diesen Weg.
Am Ende eine Öffnung zur Ewigkeit hin
Unterwegs bleibt der Mensch aber nicht bei sich. Gottes Geist betet schon in ihm, vertritt den begrenzten Menschen vor dem Höchsten mit unaussprechlichen Seufzern (Römer 8, 26f.). Es handelt sich also bei der christlichen Achtsamkeitspraxis darum, „sich seiner selbst als in der Gegenwart Gottes bewusst zu sein“. Das Jesus- oder Herzensgebet kommt verschiedenen buddhistischen Gebetspraktiken sehr nah. Es geht darum, die Anrufung Jesu mit dem Atem-Rhythmus zu synchronisieren.
Viele Parallelen gibt es in der Betrachtung der Vergänglichkeit des Menschen als Teil der Weisheit. Die ars moriendi, die Vorbereitung auf ein rechtes Sterben, ist Ausdruck davon. Für Christen geschieht am Ende jedoch eine Öffnung zur Ewigkeit hin, „um Vorletztes nicht mit Letztem (…) zu verwechseln.“