Seit Wochen befindet sich Georgien in Aufruhr. In der ehemaligen Sowjetrepublik ringen pro-westliche und pro-russische Kräfte um die Vorherrschaft. Nun ist ein neuer Präsident gewählt. Die Wahl ist höchst umstritten.
Samstag in Georgien: Seit dem frühen Morgen wird in der Hauptstadt Tiflis Fußball gespielt. Tausende Demonstranten haben sich – zum 17. Mal in Folge – vor dem Parlament auf dem zentralen Rustaveli-Prospekt eingefunden, um gegen die Wahl eines neuen georgischen Präsidenten zu protestieren. Sie spielen Fußball, weil sie zeigen wollen, dass der einzige Kandidat, Michail Kawelaschwili, wohl nur von Fußball etwas versteht.
Kawelaschwili hatte zehn Jahre in der georgischen Nationalmannschaft gespielt und war unter anderem für die Grasshoppers Zürich, den FC Zürich, den FC Luzern und den FC Basel im Mittelfeld aktiv. Als Politiker ist der vielfache Torschütze indes bisher wenig in Erscheinung getreten. Ihn zeichnet vor allem seine absolute Loyalität gegenüber Georgiens de-facto Herrscher aus – den Oligarchen Bidsina Iwanischwili.
“Völlig unerwartet” stehe Michail Kawelaschwili an der Spitze, kommentierte das Portal “Echo des Kaukasus” gegen Samstagmittag ironisch die Stimmauszählung. Wenig später zeigten georgische Fernsehstationen, wie die im Parlament versammelten Abgeordneten der Regierungspartei “Georgischer Traum” mit stehendem Applaus den nach der umstrittenen Wahl gewählten neuen Präsidenten Kawelaschwili begrüßen. Er hatte 224 von 225 möglichen Stimmen erhalten. Zu den ersten auswärtigen Gratulanten gehörte Aserbaidschans Herrscher Ilham Aliew, der nicht unbedingt als Demokrat bekannt ist.
Alle vier Oppositionsparteien hatten die Präsidentenwahl boykottiert. Es handle sich um eine Wahlversammlung mit Personen, die durch eine illegitime Wahl mit unzähligen Wahlfälschungen Parlamentsabgeordnete geworden seien. Dieser Argumentation schließt sich auch die aktuelle Präsidentin an, die 2018 direkt gewählte Salome Surabischwili. In den vergangenen Tagen rief sie wiederholt zu Protesten gegen Wahlfälschungen auf.
Unterdessen hatte das georgische Parlament kurz vor der Wahl des neuen Präsidenten in bemerkenswert großer Eile und – bei Abwesenheit der Oppositionsparteien – einstimmig mit neuen repressiven Gesetzen versucht, die Handlungsfreiheit von Surabischwili einzuschränken.
So sollen ehemalige Staatsoberhäupter keinen Personenschutz mehr genießen, wenn der Verfassungsgerichtshof eine Verfassungswidrigkeit ihrer Handlungen oder Hinweise auf kriminelles Verhalten festgestellt hat. Genau dies hat der Verfassungsgerichtshof bereits getan. Im Frühjahr entschied er, dass Surabischwili gegen die Verfassung verstoßen habe, als sie sich weigerte, den Anordnungen der Regierung Folge zu leisten, die ihr offizielle Reisen und Treffen mit ausländischen Staatsführern untersagte. In weiteren Gesetzen wurde das Strafmaß für Straßenblockaden, “Verunstaltung des öffentlichen Raumes”, Graffiti an Verwaltungsgebäuden und Vermummung bei Demonstrationen teilweise drastisch erhöht.
Zu denen, die seit längerem ein kritisches Auge auf die Entwicklung in Georgien haben, gehört die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie verurteilte Gewalt gegen friedliche Demonstranten und forderte die georgischen Behörden auf, die Menschenrechte zu respektieren und die für Gewalttaten Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. In einer Erklärung zu den jüngsten Ereignissen forderte der Zusammenschluss ein sofortiges Ende der gegen Zivilgesellschaft, unabhängige Medien und Politiker gerichteten Repressionen.
Für den 29. Dezember ist die Amtseinsetzung von Kawelaschwili angesetzt. Dann dürfte der Machtkampf zwischen ihm und Salome Surabischwili in eine neue Runde gehen. Auf die amtierende Präsidentin und den Ex-Fußballer wartet eine nervenaufreibende Verlängerung.