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In der Wüste: Gott

Über den Predigttext am 10. Sonntag nach Trinitatis: 5.Mose 4, 5-20

Predigttext am 10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag): 5.Mose 4,5-20 (Auswahl)
5 Mose sprach im Lande Moab zum Volk Israel: Sieh, ich habe euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. 6 So haltet sie nun und tut sie! (…) 9 Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben (…) Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun 10 den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb. (…) 12 Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. (…) 13 Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. (…)

Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb.“

 

Ich habe nie am Horeb gestanden. Ich bin noch nie auf der Sinaihalbinsel gewesen. Kein Geld, keine Zeit. Auch keine Lust, gerade jetzt, wo IS-Kämpfer, Muslimbrüder und ägyptische Soldaten sich gegenseitig nach dem Leben trachten.

 

Moab – die Grenze ist dicht. Sperrgebiet

„Mose sprach im Lande Moab zum Volk Israel.“ Ich bin noch nie in Moab gewesen, heute Jordanien, am Osthang des Gebirges über dem Toten Meer. Warum auch? In jedem Falle würden mich israelische und jordanische Armee wohl auch kaum dorthin lassen. Die Grenze ist dicht, Sperrgebiet.
„Sieh, ich habe euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen.“ Mose stand in Moab und erinnerte sein Volk an den Bundesschluss am Sinai und die Gebote. Davon handelt das 5. Buch Mose. Mehr nicht. Haben Sie schon das 5. Buch Mose gelesen? Literarisches Niemandsland, quälend lange Gesetzesvorschriften aus versunkener Zeit.
Ich war noch nicht am Horeb und nicht am Sinai. Das 5. Buch Mose aber habe ich gelesen. Weltliteratur. Worum geht’s? Eine Zeltstadt bis an den Horizont mit entwurzelten Menschen, eine komplette Nation auf Asylsuche, der Diktatur und dem Völkermord entronnen, vor den verschlossenen Toren des reichen Landes, das keinen Platz für die Flüchtlinge gewährt. Der alte charismatische Führer tritt ab, er wird nicht mitkommen in die neue Heimat, wird seinem Volk vor der größten Herausforderung nicht mehr zur Verfügung stehen. Er hält seine letzte Rede, dann stirbt er, mit Blick auf das blühende Land unter ihm. Eine fantastische Kulisse, eine unglaubliche Story.
„Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben“. Ich habe das 5. Buch Mose gelesen. Ich habe das Flüchtlingscamp und Mose gesehen, den Berg in Flammen und die zwei Steintafeln. Ihr, die ihr diese Andacht lest und diese Buchstaben seht, seht es jetzt auch. Es ist unser Predigttext. Jetzt steht ihr neben dem Volk Israel, gilt euch die Mahnung des Mose. Wenn wir durch Jesus von Nazareth Kinder der Verheißung geworden sind, dann befinden wir uns mit Israel zusammen am Grenzzaun in Moab und am Berg Sinai. Spätestens jetzt, wo ihr diese Zeilen lest, steht ihr vor Gott.
„Der Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berg Horeb.“ Gott im Niemandsland, vor dem Grenzzaun. Was gibt es denn da zu sehen? Nichts: ein Sturm in der Wüste, ein verhüllter Gipfel, eine Feuerwand bis in den Himmel, ein Berg in Flammen, das Ende der Welt. „Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Seine Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt. Nur eine Stimme war da.“ Mitten am Ende der Welt redet Gott.
„Er verkündigte euch seinen Bund.“ Er sagte zu den in Ägypten Erniedrigten, ihrer Würde Beraubten: Ihr seid mein Volk, „das allein mir gehört“. Ihr erhaltet eine neue Chance.

Die Chance: Traum von einer gerechten Welt

„So haltet nun die Gebote und tut sie!“ Das ist die Chance: Der Traum einer gerechten Welt. Die bisherigen Opfer sollen es besser machen, können es besser wissen. Gott zählt auf sie, die dem glühenden Ofen, dem Terror, den Todeslagern Entkommenen.
„Dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, um es anzubeten.“ Wer unter Gewalt litt, wird Gewalt nicht mehr als Lösung ansehen. Wer um des Profits willen vertrieben wurde, wird gegenüber Geld misstrauisch sein. Wer verachtet wurde, wird Hierarchien in Frage stellen.
Wirklich? Gott traut es uns zu. Was er uns zutraut, fordert er ein. Was er einfordert, wird er gewähren. Was uns misslingt, wird er vollenden. Denn „Wir sind sein Volk, das allein ihm gehört.“