Artikel teilen:

In den Bergen auf der Suche nach Gott

Eine Bergsteigergruppe aus dem Ruhrgebiet hat in den Alpen den höchsten Kreuzweg errichtet. Nun haben sie ihn zum ersten Mal begangen. Der Weg liegt im Nationalpark Hohe Tauern in Osttirol und führt hinauf in das Venedigergebiet bis auf 3300 Meter

Sie ist rau. Sie ist ursprünglich: Die Natur in den Bergen. Die Gebirgsmassive widersetzen sich bis heute der menschlichen Kultivierung. Der passende Ort, Gott zu finden – dem Himmel nahe, hoch über den Tälern.

Herrliche Sicht auf den östlichen Alpenkamm

Die beiden Bochumer Alfred Schiske (65) aus der evangelischen Gemeinde Harpen und Bergführer Rüdiger Edling (63) vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen bejahen das. Sie errichteten deshalb im vergangenen Sommer gemeinsam mit Menschen aus dem Osttiroler Bergsteigerdorf Prägraten im Venedigergebiet den höchsten Kreuzweg der Alpen. Der höchste Punkt der Pilgertour ist die 9. Station mit dem Gipfel der Weißspitze samt Gipfelkreuz. „Auf 3300 Metern Höhe schaut man bei sonnigem Wetter auf den östlichen Alpenkamm. Die Sicht ist frei auf den Großvenediger und den Großglockner. Die gesamten Ostalpen präsentieren sich bis hin zur Slowakei“, betont Schiske dazu.
Nun startete Edling vor Kurzem mit vier Wanderern aus Nordrhein-Westfalen die Erstbegehung der 14 Kreuzwegstationen, deren Symbolik der Prägratener Künstler Raimund Gröfler in Stein meißelte. „Es wurde auch für mich eine eindrucksvolle Woche, denn ich bin diese Strecke zum ersten Mal in einem Stück gegangen“, erklärt Bergführer Edling danach. Mit ihm unterwegs waren Gerhard Berghüser, Norbert Goretzka, Elmar Keldenich und Herbert Kühnle.
Vom Ausgangspunkt „Heilig-Geist-Kapelle“ in Bichl (2. Station) ging es am ersten Tag im Tal auf gut 1400 Meter – zum Eingewöhnen – zur „Neuen Hubertus-Kapelle“ mit der ersten Kreuzwegstation und zurück.
Die nächsten Tage wurden für die Pilger deutlich anstrengender, es gab viele Höhenmeter zurückzulegen. „Es war etwas Besonderes, dort oben unterwegs zu sein“, sagt Gerhard Berghüser aus Bochum. „Herausgelöst aus dem Alltag, bietet sich da ein ganz anderer Blick auf die Welt“, so der Rechtsanwalt weiter. Er macht auch deutlich: Dieser Kreuzweg ist hochalpin. Es war gut, einen erfahrenen Bergführer dabei zu haben.
Elmar Keldenich aus Oberhausen erzählt: „Die Wegführung ist sehr anspruchsvoll. Aber es machte Spaß.“ Dennoch gefällt ihm der Kreuzweg: „Es war eine gute Idee, einen Pilgerweg dort im Hochgebirge anzulegen. Wenn man sich etwas mit Osttirol und den Menschen dort beschäftigt, gibt es keinen besseren Ort.“ An den unzähligen Kapellen und Wegkreuzen merke man, dass der christliche Glaube auch heute noch eng mit der Kultur im Tal verbunden sei.
„Mich haben vor allem die Geschichten beeindruckt, die Rüdiger Edling zur Entstehung des Kreuzweges sowie des Höhenkreuzes auf der Seewandspitze erzählte“, beschreibt Diakon Herbert Kühnle aus Unna seine Eindrücke: „Das Kreuz und die Steine da hochzutragen – das allein war schon ein Kreuzweg.“ Die Wanderung zu den beiden Kreuzwegstationen an den Höhenkreuzen Weißspitze (9. Station) und Seewandspitze (10. Station) am letzten Wandertag erlebte der Diakon dann als die bewegende, aber auch als die anstrengendste Etappe auf der Pilgerreise. Die imposante Landschaft angesichts der Kreuzwegstationen ließ ihn seinen Glauben intensiv erleben. „Es war mir wichtig, jedes Mal ein Lob anzustimmen, dafür, was Gott für uns getan hat.“ So sang er zum Beispiel auf der Weißspitze „Lobet und preiset ihr Völker den Herrn.“ Andere stimmten mit ein.
„Die Idee zum Kreuzweg entstand schon 2015“, erzählt Schiske. Auslöser dafür waren zwei Höhenkreuze, die eine Gruppe von Bergsteigern aus dem Ruhrgebiet in der Region Großvenediger errichteten. Diese sollten mit einem Kreuzweg verbunden werden. In den Jahren 2008 und 2009 erneuerten die Bergsteiger das Höhenkreuz auf der Kreuzspitze, nachdem ein Blitz es zerstört hatte. In 2014 folgte die Seewandspitze – als Abschiedsgruß des Bergbaus im Ruhrgebiet. „Eine Gruppe von Bergsteigern um Wolfgang Ergün aus Datteln errichteten es“, so Alfred Schiske. Als Material für das Kreuz nutzten sie über 100 Jahre alte Eichenbalken aus dem Bergwerk Auguste-Victoria in Marl-Hüls, das am 18. Dezember 2015 geschlossen wurde. Alles schafften sie mit einem selbst gebauten Schlitten auf den Berg.
Die meisten der etwa 30 Kilogramm schweren Steinplatten für die 14 Kreuzwegstationen schleppten die Bergsteiger den Berg hoch. „Die behauenen Quader an den Kapellen kamen per Lkw zu den Stationen. Etwa der etwa 1,8 Meter hohe und 3,5 Tonnen schwere Stein vor der Pfarrkirche in Prägraten als Abschlusspunkt des Kreuzweges“, sagt Edling.

Den Pfaden der Einheimischen gefolgt

Die „Wegsteine“ sind aus Serpentinit, das in den regionalen Steinbrüchen gebrochen wird. „Die polierten Steine von Raimund Gröfler besitzen eine einfache, aber schöne Symbolik“, findet Schiske. Eine eingeschlagene römische Ziffer bezeichnet die Kreuzwegstation. Ein Kreuz und ein Herz verweisen auf den Glauben und Gottes Liebe. Eine Träne steht für das Leiden Christi. „Die Tränen werden von Station zu Station mehr, da der Tod Christi näher rückt und sein Leiden zunimmt“, betont der Presbyter aus Bochum-Harpen. „Beim Anlegen des Kreuzweges sind wir den Pfaden der Einheimischen gefolgt“, sagt Alfred Schiske. So ist der Startpunkt mit der Kapelle der Jäger ebenso bewusst gewählt wie der Ort der Grablegung Christi an der 12. Station. Dort steht am Eingangsweg zum Timmeltal ein „Materl“ (hölzernes Wegkreuz) der örtlichen Hirten. „Dort bekreuzigen sie sich bis heute beim Viehauftrieb wie auch bei der Rückkehr.“
Der Kreuzweg entstand mit großer Unterstützung vor Ort. „Ohne die Bauernschaft und den Bürgermeister aus Prägraten hätten wir das nicht hinbekommen“, erklärt Edling.
„Wir haben mit diesem hochalpinen Kreuzweg, den in einem gewissen Rahmen jeder, der gut zu Fuß ist, erlaufen kann, einen anspruchsvollen spirituellen Ort geschaffen“, zieht Schiske Bilanz. „Hier in dieser Bergwelt kann es gelingen, Gottes Barmherzigkeit zu erfahren.“