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Hornhaut auf der Seele

Ich kannte jemanden, der hatte Hornhaut auf der Seele. Vieles von dem, was um ihn herum passierte, ließ er gar nicht an sich heran. Das machte ihn manchmal kalt und hart, war aber für ihn vielleicht der einzige Weg, mit dem Leben klarzukommen. Denn das Leben war nicht gut zu ihm gewesen.

Von Gerd-Matthias Hoeffchen

Ich kannte jemanden, der hatte Hornhaut auf der Seele. Vieles von dem, was um ihn herum passierte, ließ er gar nicht an sich heran. Das machte ihn manchmal kalt und hart, war aber für ihn vielleicht der einzige Weg, mit dem Leben klarzukommen.Denn das Leben war nicht gut zu ihm gewesen.
Hornhaut: Das ist ein Schutz, den uns die Natur mit auf den Weg gibt. Sie wächst unter Druck und Belastung – und hält dann Verletzungen von uns fern. An den Füßen. Oder auch an den Fingern. Gitarristen kennen das: Hornhaut schützt die Fingerkuppen der Greifhand vor dem Druck der dünnen, harten Saiten.

Das ganze Leben folgt diesem Grundsatz: Belastung und Anpassung. An der Ostsee stehen Bäume, die in völligem Gleichmaß schief wachsen, die Windflüchter. Sie geben dem steten Druck des Küstenwindes nach und werden krumm – so schützen sie sich vor dem Windbruch. Die gesamte Evolution beruht auf diesem Prinzip: Die Lebensform, die sich anpasst, entwickelt sich weiter. Das andere stirbt aus. Christen glauben an Gott als den Herrn der Schöpfung. Anpassung wäre demnach also Gottes Bauplan für das Leben.
Auf der anderen Seite kann ein Zuviel an Anpassung vom Leben abschneiden. Hornhaut auf den Fingerkuppen schützt, heißt aber eben auch, dass das Empfinden in den Fingerspitzen nachlässt. Von Klein auf mussten wir uns anpassen, Kompromisse finden; lernen, ins Leben zu finden. Anders geht es nicht. Aber wieviele Ideale sind dabei auf der Strecke geblieben?
Wir befinden uns in der Fastenzeit. Vielleicht kann das ja ein guter Zeitpunkt sein, mal zu überprüfen: Gibt es Stellen in meinem Leben, an denen die Hornhaut zu dick geworden ist?