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Höchste Priorität

Über Wirkungen des Gebets schreibt Ralf Schlenker. Er ist Pastor im Männerforum der Nordkirche.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.“ aus Kolosser 4, 2-4
Nathan wendet sich zur Wand, legt den Gebetsschal um und wiegt seinen Oberkörper leicht hin und her. Der Sultan rollt seinen Gebetsteppich aus, macht mit den Händen eine lauschende Geste und berührt dann mit der Stirn den Boden. Der Bischof kniet nieder, hebt sein Kreuz empor und bewegt mit sehnsuchtsvollem Blick gen Himmel die Lippen. Auf der Theaterbühne zeigt sich eine Wirklichkeit, mit der wir alltäglich umgehen müssen. 
Der naive Kreuzritter Kurt hat am Ende des Stücks „Nathans Kinder“ von Ulrich Hub einen Lichtblick: „Egal zu welchem Gott wir beten, sind wir nicht zuallererst Menschen?“ Die Liebe zwischen der jungen Recha und Kurt ist größer als der Konflikt zwischen den Religionen. Nur Nathan zweifelt: „Dieser Friede wird nicht lange dauern.“
Beharrlichkeit im Gebet hat höchste Priorität. Gefolgt von Dank und Fürbitte. Dabei sind die Möglichkeiten der Kontemplation individuell und vielfältig. Schwören die einen auf regelmäßige Zeiten und rituelle Formen, integrieren andere die Exerzitien in ihren Alltag und suchen den Kontakt zu den Menschen „draußen“. Im Sinne des Kolosserbriefes verharre ich als Beter nicht mit gefalteten Händen in zusammengesunkener Haltung, sondern erhebe mich und schaue mich um. Das Gebet löst eine Dynamik aus, die Herz und Mund öffnet. Wie sonst sollten wir aus der Zeit, die uns geschenkt ist, das Beste machen? 
Das Gebet ist ein Antidepressivum mit überraschenden Nebenwirkungen. Plötzlich geschehen Dinge außerhalb unserer Vorstellungskraft. Schritte zu Frieden und Versöhnung werden wahr, die vor Tagen noch unmöglich schienen. Daher teile ich den Pessimismus des Nathan nicht. Neben dem Gebet bedarf es klarer, gut gewürzter Worte, damit etwas in Bewegung gerät. Begriffe wie Gnade und Vergebung dürfen keine Worthülsen bleiben. Die Menschen draußen warten auf die befreiende Botschaft Jesu. Vielleicht überrasche ich mal wieder einen besonders anstrengenden Gesprächspartner mit der Bemerkung: „Wissen Sie eigentlich, dass ich für Sie bete?“ Das hat mir noch niemand verboten. 
Unser Autor
Ralf Schlenker
ist Pastor im Männerforum der Nordkirche.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.