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Historiker: Rückgabe von Kulturgut ist keine materielle Frage

Über den Umgang mit Raubkunst wird immer wieder gestritten. Ein Historiker weist nun darauf hin, dass es bei der Rückgabe von einst geraubten Kulturgütern nicht um materielle Werte gehe – sondern um Gerechtigkeit.

Nach Jahrzehnten bekommen Menschen etwas zurück, das ihren Familien einst geraubt wurde: Bei der sogenannten Restitution geht es nach Worten des Historikers Julien Reitzenstein zumeist um materiell kleinere Werte, etwa um ein traditionelles jüdisches Widderhorn “Schofar, ein Buch, eine kleine Bibliothek oder ein Möbelstück”. Laut einigen Fachleuten liegt der Wert in über 95 Prozent der Fälle von Restitution bei “nur wenigen Hundert oder Tausend Euro”, schreibt Reitzenstein in der “Welt am Sonntag”.

Über diese Fälle werde allerdings kaum berichtet – im Gegensatz zu den wenigen, “in denen um die Rückgabe von millionenteuren Gemälden gestritten wird”, kritisiert der Historiker. Auf diese Weise würden “gegenwärtig zunehmend rechtsradikale und antisemitische Narrative vom geldgierigen Juden befeuert”. Dies überdecke, worum es eigentlich gehe – nämlich darum, “dass Eigentümer endlich ihr geraubtes Kulturgut zurückerhalten – gleichviel, ob wertvoll oder nicht”.

Zudem seien die Kerngedanken der Washingtoner Erklärung lange sehr unterschiedlich umgesetzt worden, so Reitzenstein weiter. Diese Erklärung von 1998 bildet die internationale Grundlage für den Umgang mit NS-Raubkunst. Eine Aktualisierung, die die Signaturstaaten vor rund einem Jahr verabschiedeten, soll nun für mehr Transparenz sorgen und rechtliche Hürden beseitigen.

Auch bezögen sich die Prinzipien inzwischen nicht mehr allein darauf, “das Menschenrecht auf Eigentum für Juden” sicherzustellen. “Der nun erwartete verbesserte Umgang mit den Folgen der Beraubung schafft eine Blaupause für faire und gerechte Lösungen für gegenwärtigen und zukünftigen Kulturgutraub”, schreibt der Experte. Etwa in der Ukraine oder in Bergkarabach würden derzeit Kulturgüter geplündert, und fehlende Normen für den Umgang mit diesen Taten könnten wiederum neue Konfikte schüren.