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Historiker Nikolas Jaspert erzählt vom Meer im Mittelalter

Heute ist das Meer für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Im Mittelalter hatten die Menschen einen pragmatischeren Zugang. Sie bedienten sich seiner Schätze und fürchteten es zugleich.

Was hat das Logo von Starbucks mit der Jakobsmuschel gemeinsam? Beide stehen für weltweit bekannte Marken mit einer Vorgeschichte, die von der Antike über das Mittelalter bis heute reicht. Das stellt der Heidelberger Historiker Nikolas Jaspert in seinem am Donnerstag in Berlin erschienen Buch “Fischer, Perle, Walrosszahn. Das Meer im Mittelalter” fest. Er will die Geschichte des Mittelalters aus einer anderen Perspektive erzählen, nämlich der des Meeres, der Meeresbewohner und ihrem Einfluss auf das Leben der Menschen.

Die Jakobsmuschel steht für die Pilgerreise in den spanischen Ort Santiago de Compostela. In ganz Europa, an Tausenden von Orten, finde man die Muschel als Wegweiser, so der Historiker und konstatiert: “Die Marke ‘Jakobsmuschel’ zieht.” Nach Angaben des Pilgerbüros in Santiago de Compostela habe man 2024 das dritte Jahr in Folge ein neues Rekordjahr aufgestellt mit rund einer halben Millionen Urkunden für die Pilger.

Und wer war der Erfinder dieses erfolgreichen Logos und Pilgerzeichen? Jaspert schreibt das Diego Gelmírez, dem 1140 gestorbenen Erzbischof des Wallfahrtsortes zu. Er habe in einer Predigt gesagt, eine Muschel sei das Zeichen der Jakobuspilger, denn die beiden Schalen des Meerestieres stünden für die beiden Liebesgebote eines Christenmenschen – nämlich Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben.

In der Antike standen die Muschelschalen für etwas ganz anderes. Sie wurden zum Sinnbild der Göttin Aphrodite, also der Liebe und der sinnlichen Lust, schreibt Nikolas Jaspert. Das konnte so natürlich nicht stehen bleiben, als sich das Christentum durchsetzte. Der Historiker zitiert aus der frühchristlichen Schrift Physiologus, wo die Muschel mit der Gottesmutter Maria gleichgesetzt wird.

Die weltweit operierende Kaffee-Kette Starbucks hat sich ein anderes, allerdings mythisches Meerlebewesen als Logo ausgesucht: eine doppelschwänzige Meerjungfrau, auch als Sirene bekannt. Gemäß der offiziellen Firmengeschichte ließ sich 1971 der Designer Terry Heckler von einer Darstellung der Sirene für das Logo inspirieren, die in seinen Worten eine perfekte Metapher für den Sirenengesang des Kaffees sei, der an die Kaffeetasse locken solle.

Nikolas Jaspert erklärt in seiner Darstellung, dass Meerjungfrauen heute positiv besetzt seien mit Begriffen wie Schönheit, Unabhängigkeit und Naturverbundenheit. Doch das war nicht immer so. Denn die Sirenen tauchen erstmals in der Antike in der Odyssee von Homer auf, wo sie mit ihren verführerischen Gesängen die vorbeiziehenden Seeleute ins Verderben ziehen wollten.

Später dienten sie den Theologen als Sinnbild der Eitelkeiten dieser Welt oder der weiblichen Verführung. Warnsirenen, nach diesen mythischen Wesen benannt, verkünden noch heute tödliche Gefahren: Krieg, Feuer, Unfälle, sagt der Historiker.

Ob Muscheln oder Meerjungfrauen, wunderbare Schätze wie Korallen oder Perlen: Das Meer hatte den Menschen auch etwas sehr viel Unmittelbareres zu bieten. Fische dienten den Menschen als Nahrungsquelle, besonders während der verschiedenen Fastenzeiten im Jahr. Es gab nur ein Problem dabei: Fisch war leicht verderblich und es gab noch keine Kühlschränke.

Salz kam daher eine besondere Bedeutung zu, so Nikolas Jaspert. Er hat in den Quellen Hinweise gefunden, dass Heringe, Makrelen oder Sardinen in einer Salzlake bis zu zwei Jahren konserviert werden konnten. Kabeljau wurde luftgetrocknet und ließ sich auf diese Weise für fünf bis sieben Jahre haltbar machen, wie Jaspert aus einem Haushaltsbuch aus dem 14. Jahrhundert erfuhr. Heute würde man das Mindesthaltbarkeitsdatum sicher niedriger ansetzen.

Gab es viele Fische und konnte man sie haltbar machen, dann war nach Erkenntnis von Jaspert die Voraussetzung für eine systematische, vorindustrielle, auf Export ausgerichtete Fischwirtschaft gegeben. Wie man die Fische transportierte? In Fässern. Sie werden auch als die Container des Mittelalters bezeichnet.

Allerdings wurden die Menschen bei der Fischerei schon von dem Gedanken der ökologischen Nachhaltigkeit geleitet, so der Historiker. Sie hätten gewusst, dass Überfischung zu einer Minderung der Artenvielfalt oder zum Verlust einzelner Spezies führen konnte und hätten daher entsprechend gehandelt. Deswegen habe es bereits im Mittelalter Widerstand gegen Netze gegeben, die zu viel Beifang verursachten oder die Bestände einzelner Arten zu stark verminderten. Man habe damals gezielt einzelne Fischarten geschützt. Das Fazit des Historikers Jaspert lautet daher: “Wir konnten auch anders.”