Im New Yorker Guggenheim Museum war es im Jahr 2018 eine Sensation: die Ausstellung der abstrakten Gemälde der bis dahin vollkommen unbekannten, rund 70 Jahre zuvor gestorbenen schwedischen Malerin Hilma af Klint wurde die bis dahin erfolgreichste Schau in der Geschichte dieses Museums. Farbige, zum Teil grellbunte abstrakte Bilder, Vorboten der Pop-Art, gemalt um 1900, mindestens ein Jahrzehnt bevor die Künstler auf die Weltbühne traten, die bis dahin als Pioniere der Abstraktion galten: die Russen Wassily Kandinsky und Kasimir Malewitsch oder der Niederländer Piet Mondrian.
Hilma af Klint (1862-1944) malte ohne Vorbilder, war von der Natur und den wissenschaftlichen Errungenschaften ihrer Zeit inspiriert, die sie in Stockholm, der Stadt der naturwissenschaftlichen Nobelpreise, kennenlernte. Und sie war der Anthroposophie Rudolf Steiners zugeneigt.
Af Klint war bewusst, dass sie eine neue Bildsprache entwickelt hatte: „Die Versuche, die ich unternommen habe, werden die Menschheit in Erstaunen versetzen. Meine Bilder sind bahnbrechend“, schreibt sie 1907 zu ihrer Serie abstrakter Bilder, die sie „Die Größten“ nennt.
Mit dem Werk von Wassily Kandinsky, dessen Bilder ab Samstag in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf mit ihren gezeigt werden, verbindet sie die Suche nach Bildaufbau und Gestaltung in Gedanken. „Über das Geistige in der Kunst“ nannte Kandinsky sein Programm. Af Klint und Kandinsky, die sich nicht kannten, wollten mit der Kunst, die sich von den Gegenständen löst, eine höhere, geistige Welt darstellen.
Als Hilma af Klint 1862 in der Nähe von Stockholm geboren wurde, war das Königreich Schweden noch von steifen Traditionen geprägt und stand unter dem Einfluss eines strengen Protestantismus. Ihr Vater war Offizier, der Großvater berühmt in Schweden: er hatte wichtige Seekarten entwickelt und gezeichnet. Auch af Klint zeigte Talent als Zeichnerin und konnte in den 1880er Jahren an der Kunstakademie in Stockholm studieren. In Deutschland war das zu dieser Zeit für Frauen noch nicht möglich.
Die Motive ihrer Bilder sind der Natur nachempfunden – Organe, Blütenblättern, Samen oder Spiralen – und dennoch frei gestaltet. Jedes Bild hat eine Grundfarbe, etwa ein helles Rosa, ein Orange, ein leuchtendes Himmelblau. Der Eindruck: überall Bewegung. Die Kunsthistorikerin, Klint-Biografin und Mit-Kuratorin der Düsseldorfer Ausstellung, Julia Voss, sagt: „Da schwimmt und flirrt und fliegt etwas, da dreht sich etwas und kreiselt. Da gibt es Bewegungen, die sehen eher aus wie Befruchtung oder Verschmelzung oder Besamen. Man hat so das Gefühl, alle Lebendigkeitsformen tauchen darin auf.“
Hilma af Klint war bewusst, dass ihre Bilder ihrer Zeit voraus waren. Daher verfügte sie, dass sie erst viele Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden dürfen. „Sie ist eigentlich eine Futuristin. Sie freut sich auf das Kommende, auf die Zukunft. Sie nimmt dauernd öffentliche Verkehrsmittel,“ sagt Voss.
Im Oktober 1944 – Schweden ist im Zweiten Weltkrieg politisch neutral und das tägliche Leben kaum beeinträchtigt – stürzt af Klint beim Aussteigen aus Bus oder Straßenbahn. Davon erholt sie sich nicht mehr. Sie stirbt am 21. Oktober 1944, wenige Tage vor ihrem 82. Geburtstag.