Artikel teilen:

Hilfs-Bereitschaft

Andacht über den Predigttext am 19. Sonntag nach Trinitatis: Markus 2, 1-12

Predigttext am 19. Sonntag nach Trinitatis (Auszug):
(…) 3 Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. 4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. 5 Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. 6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte (…) und (Jesus) sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? 9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? 10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!  12Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.

Ein Mensch erzählt seine Krankengeschichte: „Aufgegeben hatte ich mich schon fast. Zu lange war ich krank. Immer nur liegen. Zur Decke starren. Warten. Warten, dass die Nacht vergeht. Warten, dass der Morgen dämmert. Und wenn es endlich hell wird: Warten, dass jemand an mein Bett kommt. Dass es um mich geht, nicht um meine Krankheit. Warten, dass ich gewaschen werde. Warten, dass ich trinken kann. Warten, dass der Tag vergeht. Müde, nein, mürbe macht dieses Warten. Mich hat es stumm gemacht. Was hätte ich denn noch sagen sollen?

Gedanken kreisen bis zum Schwindel

Immer nur um Hilfe bitten müssen, nichts zu erzählen haben. Soll ich von den durchwachten Stunden erzählen, von den Schmerzen? Oder gar von meinen Selbstzweifeln, von der lähmenden Angst, von den Vorwürfen, die ich mir mache? Vom Kreisen der Gedanken, bis mir schwindelig wurde? Fragen über Fragen. Eigene und fremde:
Ob es mir besser geht heute? Ob ich Besuch vermisse? Ob ich unter Leute will? Was soll ich darauf antworten? Ob ich denn so ganz ohne Hoffnung sei? Hoffnung – fast wäre sie mir verloren gegangen. Wären da nicht ein paar Menschen gewesen, die trotz allem da waren. Hilfsbereit ohne viele Fragen. Ohne viele Worte.“
Krankengeschichten können Geschichten großer Hilfsbedürftigkeit sein. Drohender Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Krankengeschichten können zu Geschichten großer Hilfsbereitschaft werden. Hilfsbereitschaft ist nicht nur die Bereitschaft, zu helfen, Hilfe zu geben. Hilfs-Bereitschaft ist auch die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, Hilfe anzunehmen.
In der Geschichte des gelähmten Menschen, der zu Jesus gebracht wird, kann der Kranke selbst nichts tun. Er lässt etwas mit sich geschehen. Diese Hilfe ist zupackend und einfallsreich. Geistesgegenwärtig im rechten Moment. Es sind seine Freunde, die kräftig sind im Tragen und Mittragen. Freunde, die sich vordrängeln. Freunde, die Platz machen und keine Mühe scheuen. In scheinbar auswegloser Enge finden sie einen Weg, um den Kranken zu Jesus zu bringen. Sie benehmen sich gegen alle Regeln. Machen Dreck. Stören. Decken sogar ein Dach ab, um den Kranken direkt in Jesu Nähe zu bringen. Jesus nennt diese Hilfe Glauben. Ich nenne sie Hoffnung, Mut, Zuversicht.
Diese Krankengeschichte hört auf, eine Krankengeschichte zu sein. Sie wird zur Geschichte einer Heilung. Hoffnung und Vertrauen stehen in ihrer Mitte. Ein Einziger spricht in dieser Geschichte: Jesus. Er spricht den Kranken an. Nicht auf seine Krankheit, sondern ganz neu: „Mein Kind“. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Deine Sünden sind dir vergeben. Keine Schuld trennt dich vom Leben. Keine Lähmung soll dich unbeweglich, krumm und stumm machen. Steh auf, nimm dein Bett und wandle. Geh heim.
Sünde und Lähmung, Selbstzweifel und Schuld, Ungenügen und Fehler sind vergeben. Sie werden nicht geleugnet, sondern sie werden barmherzig angesehen.

Statt Lähmung – neue Beweglichkeit

Sie sind aufgehoben in der Anrede als „mein Kind“, als Kind Gottes.
Aus der Krankengeschichte wird eine Ostergeschichte, eine Auferstehungsgeschichte. Statt Lähmung: Beweglichkeit, statt Mutlosigkeit neue Hoffnung, statt Müdigkeit und Schwermut aufrechter Gang. Die alten Geschichten sind zu Ende erzählt. Neue Geschichten beginnen mit diesem einen Satz „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim“. Er wird sein Bett nicht los, sondern nimmt es mit sich. Es wird ihn daran erinnern, dass er hilfsbedürftig war und dass er Hilfsbereitschaft erlebt, Hilfe bekommen hat. Dass er Hilfe annehmen konnte. Zum Menschsein gehört beides.