Im Selbstverständnis der Ordenschristen – der evangelischen wie der katholischen – spielen die sogenannten Evangelischen Räte eine wichtige Rolle: Ehelosigkeit, Armut, Gehorsam. Diese Räte werden auch heute noch oft missverstanden als Zwänge einer Verzichtsmoral. Vom Evangelium her, der Frohen Botschaft, sind sie aber genau das Gegenteil: nämlich Hilfen zu einem Leben in Fülle, das Gott allen Menschen schenken will.
Die Evangelischen Räte gehen zurück auf Ratschläge Jesu, die er seinen Jüngern im Evangelium gegeben hat. Die Jünger waren so fasziniert und begeistert von der Ausstrahlung dieses Wanderpredigers, dass sie ihren Alltag und die damit verbunde-nen Verpflichtungen aufgaben, um mit diesem Jesus unterwegs zu sein. Wir würden die Jünger heute „Aussteiger“ nennen.
Fasziniert und begeistert von Jesu Ausstrahlung
Was hat sie zu diesem Ausstieg bewogen? Dorothee Sölle schrieb: „Ich halte Jesus von Nazareth für den glücklichsten Menschen, der je gelebt hat. Jesus erscheint in den Evangelien als ein Mensch, der seine Umgebung mit Glück ansteckte, der seine Kraft weitergab, der verschenkte, was er hatte.“ In Jesus lebte das Geheimnis wahrer Freude.
Auf dem Weg der Nachfolge sind Christen eingeladen, den „Räten“ des Evangeliums zu folgen und sie in ihre je eigene Lebenssituation umzusetzen. Die „Evangelischen Räte“ bieten dem Christen wegweisende Bausteine einer Lebenskultur, die das Wesentliche und Sinnvolle im Blick behält und so letztlich zum Glück des Menschen beiträgt.
Was aber bedeuten die einzelnen Evangelischen Räte? Da Ehelosigkeit eine negative Definition ist, spricht man heute richtiger von „Jungfräulichkeit“, womit nicht unbedingt eine sexuell enthaltsame Lebensweise gemeint ist und sich „Jungfräulichkeit“ nicht nur auf Frauen bezieht. Ein jungfräulicher Mensch lebt in einer liebevollen Beziehung zu Gott, in enger Freundschaft mit ihm, weil er sich ohne Vorleistung von diesem Gott geliebt weiß. Er ist offen für das Leben, für Gott und seine Mitmenschen.
John Henry Newman beschreibt den jungfräulichen Menschen als jemanden, „der wach ist für Christus, der ein empfindsames, sehnsüchtiges und fühlendes Herz besitzt; der offen, lebendig, hellsichtig, eifrig darauf bedacht ist, Ihn zu suchen und zu ehren, der in allem, was geschieht, nach Ihm ausschaut.“
Der Rat zur Armut – bei uns sollte man ehrlicherweise besser von Einfachheit sprechen – ist in unserer Zeit von großer Bedeutung. Christen müssen sich an ihrer Haltung gegenüber den Armen messen lassen. Materielle und soziale Armut sind auch in der Bibel ein Unrecht. Die Wurzel der Armut liegt im menschlichen Egoismus. Jesus mahnt die Armen und die Reichen: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Diebe einbrechen und stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel … Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Matthäus 6,19-21) Will sagen: Besitz kann das Herz des Menschen verändern, ihn besessen machen.
Da stellen sich uns einige kritische Fragen: Wovon bin ich abhängig? Was brauche ich wirklich? Wo zeigt sich meine Solidarität mit den Armen? Müssten wir als Christen nicht viel einfacher und ganz anders leben, damit die Armen dieser Erde zu ihrem Recht kommen?
Das ist in unserer konsum- und profitorientierten Verschwendungs- und Wegwerfgesellschaft eine Zumutung und Herausforderung, der wir uns stellen müssen, wenn wir glaubwürdig sein wollen. Wer in Gott selbst seinen unverlierbaren Reichtum, seinen kostbarsten Schatz gefunden hat, der kann auf vieles verzichten und vieles loslassen. Besitzen im christlichen Verständnis bedeutet ja vor allem, die Gemeinschaftsdimension der materiellen Güter zu beachten und diesen Besitz zum Wohle aller einzusetzen.
Eine Anleitung zum Glücklichsein
Der Rat des Gehorsams meint nicht eine unterwürfige Anpassung oder gar Fremdbestimmung. Im biblischen Verständnis beginnt das Gehorchen mit dem aufmerksamen Hören auf die Stimme Gottes. Der Mensch entdeckt darin nicht selten die Stimme seines eigenen Herzens, seines persönlichen Gewissens. Ich muss lernen, ganz Ohr zu sein, wahrzunehmen, anzunehmen und im Herzen zu erwägen, was ich zulassen kann. Wenn Gott mir wirklich lebenswichtig ist, bin ich auch bereit, seiner Stimme und seinem Willen zu folgen, selbst wenn ich nicht weiß, wohin mich dieser Wille Gottes führen wird. Dann habe ich auch den Mut zum Hören auf die Mitmenschen und deren Belange, die zuweilen meine Pläne und Vorstellungen durchkreuzen.
Vielleicht sind ja die Evangelischen Räte eine Anleitung zum Glücklichsein und laden alle Christen ein zu einer „Dynamik des Aufbruchs“. Dorothee Sölle sagte: „Von Christus ist zu lernen: Je glücklicher einer ist, umso leichter kann er loslassen. Seine Hände krampfen sich nicht um das ihm zugefallene Stück Leben. Da er die ganze Seligkeit sein nennt, ist er nicht aufs Festhalten erpicht. Seine Hände können sich öffnen.“ KNA