Lieber Herr H.! So müsste der Brief eigentlich beginnen. Immer wieder einmal denke ich, ich sollte ihm ein paar Zeilen schreiben. Und vielleicht müsste ich das auch wirklich bald tun. Die Schulzeit ist ja nun schon ein paar Jahre vorbei. Herr H. war Religionslehrer. Und was für einer! Mit Leib und Seele. Er war einer von den Lehrern, die einem wirklich etwas beibringen wollten. Und spätestens in der Oberstufe wurde klar: Reli ist kein Laberfach. Jedenfalls nicht bei Herrn H.
Er erklärte die Zwei-Quellen-Theorie, die Leben-Jesu-Forschung, Karl Barths Dialektische Theologie. Und er ärgerte uns Siegerländer mit Bultmanns Entmythologisierung. Auf den Hinweis, die Geschichten der Bibel müsse man doch einfach glauben, antwortete er lapidar: „Glauben können Sie in der Kirche.“ Und trotzdem glaubte er. Das merkten wir. Er ging sonntags zur Kirche und spielte im Posaunenchor.
Aber das reichte ihm nicht für den Religionsunterricht. Er wollte, dass die Schülerinnen und Schüler die Bibel nicht nur lesen, sondern verstehen. Wer hat die Geschichten wann und warum aufgeschrieben? Und was bedeuten sie auch heute noch, 2000 Jahre später? Er hat uns viel beigebracht. Definitionen, die ich bis heute auswendig kann: Was ist Religion? Was ist Glaube? Was ist Exegese? So manches aus seinem Unterricht konnte ich noch im ersten theologischen Examen gut gebrauchen.
Er war anspruchsvoll, verbindlich und hatte Humor. Auch das prägte uns junge Gymnasiasten. Nicht nur einmal kam er singend in den Unterricht: „Ich düse, düse im Sauseschritt und bring’ die Bibel mit.“ Solche Lehrer vergisst man nicht. Ich sollte es ihm schreiben. Den Anfang hab ich ja schon.