Zwölf Jahre ist er alt, als er sich entschließt, seine Heimat zu verlassen. In dem von Bürgerkrieg zerrissenenen Somalia, wo er geboren wurde, und auch im benachbarten Äthiopien gib es keine Zukunft.
Mit seinen Eltern, vier Brüdern und fünf Schwestern lebt der Junge, dessen Name ungenannt bleibt, in einem kleinen somalischen Dorf. Die Wellblechhütte der Familie bietet kaum Schutz – weder vor starkem Regen noch vor der oft unerträglichen Hitze. Die Mitarbeit der Kinder ist für alle überlebensnotwendig: Wie seine Brüder muss der Junge Brot auf der Straße verkaufen – noch bevor die Schule beginnt. Trotzdem kommt die Familie kaum über die Runden. Deshalb trifft sie den Entschluss, nach Äthiopien zu gehen. Aber auch hier gibt es keine Perspektive. Oft müssen sich die Kinder abends mit leerem Magen schlafen legen.
Dann eines Tages keimt Hoffnung auf: Schlepper kommen ins Dorf und bieten ihre Dienste an. „Ich bin erst zwölf Jahre alt und die Entscheidung, sie (die Familie; d.Red.) zu verlassen, fällt mir schwer, doch mein fester Wille, der Armut und dem Hunger zu entfliehen, ist stärker.“ Das vertraut der Junge, der nach monatelanger Irrfahrt schließlich in Österreich ankommt, Tobias Kley an.
Flucht unter unwürdigen Bedingungen
Der Sportler, der bei einer christlichen Organisation in Österreich Erlebnisfreizeiten für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen organisiert, hat die Geschichten von neun Menschen aufgeschrieben, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Armut geflohen sind und in Europa ein Zuhause gefunden haben. „Hauptsache weg“ ist der Titel seines Buches, das zeigt, dass das Weggehen niemals ein leichter Schritt ist, dass es jedoch für viele Menschen oft keine andere Hoffnung zum Überleben gibt.
Was die Geschichten zudem verbindet, sind die oft unwürdigen Bedingungen der Flucht. Schleppern ausgeliefert zu sein, verfrachtet zu werden wie Vieh, lange Fußmärsche und schließlich das vielfach langwierige und demütigende Verfahren bis zur Anerkennung im Asylland – all das sind Erfahrungen, die tiefe Narben in den Seelen von Geflüchteten hinterlassen.
Überraschend an Kleys Buch ist, dass er auch etwas von seiner eigenenen Geschichte, seinem eigenen inneren Wandel erzählt. Offen und ehrlich gesteht er die Vorbehalte, die er in seiner Jugend hatte gegenüber Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, anderer Religion und anderer Kultur. Im Boxclub aber änderte sich das. Hier lernte Kley, so schreibt er, „immer mehr, andere Nationalitäten zu schätzen. Ja nicht nur zu schätzen, sondern die Menschen anderer Kulturen sogar zu lieben“.
Menschenliebe, das einzelne Schicksal zu sehen hinter den anonymen Zahlen, das lehrt Kleys Buch. Gleichzeitig ist es ein Dokument der Dankbarkeit derer, die in Deutschland oder Österreich angekommen sind und hier neue Hoffnungen schöpfen. Wie der junge Somalier. Er möchte gerne Polizist werden und, so sagt er , den Menschen helfen.
Bei aller Freude aber ist eines auch klar: Die Sehnsucht der Geflüchteten bleibt. Die Sehnsucht nach der alten Heimat. Vermutlich das ganze Leben lang.