Nur wenig war in den vergangenen Jahren von Stevie Wonder zu hören. Doch im vergangenen September, mitten im US-Wahlkampf, meldete sich der schwarze Superstar mit einem neuen Song zu Wort: „Können wir das zerbrochene Herz unserer Nation flicken?“, lautete der Refrain des gleichnamigen Liedes („Can We Fix Our Nation’s Broken Heart“). „Und sind wir mutig genug, es zu versuchen?“ Er sorgt sich um die durch Hass gespaltene US-Nation. Und erinnert an die Werte, die der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968) einst predigte: „Wahrheit, Mitgefühl und Liebe“.
Am 13. Mai wird Stevie Wonder 75 Jahre alt. Der blinde Künstler mit Sonnenbrille und Rastalocken hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche Gute-Laune-Songs mit oft sozial engagierten Texten geschrieben – und gilt als Erneuerer der schwarzen Musik. Er führte sie seit den frühen 1970er Jahren vom traditionellen Rhythm ’n’ Blues hin zu modernem Soul, Funk und auch Disco und Rap. Berühmt ist seine Mimik und Gestik: Beim Singen lächelt er verzückt und wackelt ekstatisch mit Kopf und Oberkörper. „Aber vor allem ist da diese Stimme“, würdigte ihn sein Freund Elton John: „Zusammen mit Ray Charles ist er der größte R&B-Sänger aller Zeiten.“
Zu einem großen Teil ist es Stevie Wonder zu verdanken, dass Martin Luther King in den USA ein eigener Feiertag gewidmet ist: Mit dem Song „Happy Birthday“ (1980) setzte sich der Musiker an die Spitze einer Kampagne, die den Traum des ermordeten Pfarrers von einer friedlichen und gerechten Welt umsetzen wollte. Seit 1986 wird der „Martin Luther King Day“ in den USA alljährlich in der Zeit um Kings Geburtstag, dem 15. Januar, begangen. 2018 startete Wonder die Kampagne „#DreamStillLives“ gegen Rassismus in den USA.
Er verkaufte mehr als 100 Millionen Platten, bekam 25 Grammys und einen Oscar. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama, den er im Wahlkampf unterstützte, verlieh ihm 2014 die „Presidential Medal of Freedom“. Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 sang Wonder für die demokratische Kandidatin Kamala Harris.
Als Stevland Hardaway Judkins Morris wurde er 1950 geboren, in der Stadt Saginaw im US-Bundesstaat Michigan. Lange vor Michael Jackson – mit dem er 1987 für dessen Album „Bad“ das Duett „Just Good Friends“ aufnahm – galt Wonder als Wunderkind der Popmusik. Das schwarze „Motown“-Musiklabel aus Detroit nahm 1961 den gerade elfjährigen Kirchenchorsänger unter Vertrag.
Er bekam den Künstlernamen „Little Stevie Wonder“, wurde im Stil des ebenfalls blinden Vorbildes Ray Charles aufgebaut. Mit Tanzsongs wie „Uptight“ und Balladen wie „My Cherie Amour“ wurde er zum Goldjungen von „Motown“, deren Veröffentlichungen die klassische Soul- und Funkmusik prägten.
Um 1970 erkämpfte sich der Perfektionist künstlerische Freiheit. Er gründete eine eigene Produktionsfirma, spielte bei Plattenaufnahmen gerne Klavier, Orgel, Synthesizer oder Schlagzeug selbst ein. Zwischen 1972 und 1976 hatte Wonder seine kreativste Phase. Das Album „Talking Book“ lieferte Hits wie das funkige „Superstition“ und die Ballade „You Are The Sunshine Of My Life“.
Als seine beste Veröffentlichung gilt das Doppelalbum „Songs In The Key Of Life“ (1976) mit den Hits „Sir Duke“ und „Isn’t She Lovely“ mit Mundharmonika-Solo. Der dreimal verheiratete Vater von neun Kindern widmete das Lied seiner Tochter Aisha.
Seit den frühen 70ern engagiert er sich für die Bürgerrechte der schwarzen US-Amerikaner. In dem Song „Living For The City“ prangerte er das schwierige Leben vieler Afroamerikaner in den Ghettos der Städte und deren Entrechtung an. Das vom Ex-„Beatle“ Paul McCartney verfasste „Ebony and Ivory“ wurde 1982 in zahlreichen Ländern ein Nummer-Eins-Hit: Der Song über das harmonische Miteinander der schwarzen und weißen Klaviertasten beschwört das friedliche Zusammenleben aller Menschen.
Der gefällige Popsong „I Just Called To Say I Love You“ für die Filmkomödie „Die Frau in Rot“ brachte ihm seinen einzigen Oscar ein – er widmete ihm Nelson Mandela, dem südafrikanischen Anti-Apartheid-Kämpfer und späteren Friedensnobelpreisträger. 1985 war er einer der Künstlerinnen und Künstler, die mit der Benefiz-Schallplatte „We Are The World“ Spenden für Hungernde in Äthiopien sammelten, seit 2024 ist er auch ghanaischer Staatsbürger. Vor allem in den USA unterstützt Wonder Projekte für arme und behinderte Menschen, benachteiligte und kranke Kinder, Obdachlose sowie die Forschung gegen Aids und Krebs.
Schon vor Jahren hat der gläubige Baptist ein Gospel-Album angekündigt. Die Religionen müssten gegen Krisen zusammenstehen, appellierte Stevie Wonder, der auch UN-Friedensbotschafter ist, in einem Interview: „Nur Liebe, das ist das Wichtigste. Das bringt uns da durch.“