Artikel teilen:

„Guten Tag“ – und dann?

Einen völlig fremden Menschen besuchen, im Auftrag der Kirchengemeinde – das ist anfangs ziemlich aufregend. Eine Ehrenamtliche erzählt von ihrem „ersten Mal“

imageegami - Fotolia

Die neueste Ausgabe des Magazins für Besuchsdienstkreise, das die rheinische und die westfälische Landeskirche gemeinsam herausgeben, trägt den Titel „Erzähl mir die Geschichte“. Zu Wort kommen darin Ehrenamtliche, die von ihren Erlebnissen während ihrer Besuche bei Gemeindegliedern erzählen. Eine von ihnen ist Petra Ostermann, die Menschen in der Apostelgemeinde in Oberhausen besucht.

Ich parke meinen Wagen am Straßenrand, vergewissere mich noch mal in meinem Notizbuch, wie der Name der Dame lautet, die ich gleich zu begrüßen habe. Nervös bin ich – aber ich freue mich auch. Mein erster Besuch im Besuchsdienst der Apostelgemeinde Oberhausen.
Ich steige noch nicht aus, sondern nehme mir die Zeit für ein kleines Gebet. Das lautet ungefähr so: „Vater, bitte erfülle mich mit deinem Geist, damit ich Trost und Freude sein kann für deine Tochter, die ich jetzt besuche. Lass mich die richtigen Worte finden und mit offenem Herzen zuhören.“
Ich schelle. Es dauert eine Weile, dann öffnet sich die Tür. Ich sage „Guten Tag“ und stelle mich vor. Eine sehr freundlich aussehende Dame strahlt mich an, nimmt meine ausgestreckte Hand in ihre beiden Hände, drückt sie und sagt: „Ich weiß, wer Sie sind. Man hat Ihren Besuch angekündigt. Ach, wie freue ich mich, dass Sie mich besuchen. Kommen Sie doch rein.“  
Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich dann als nächstes gesagt habe. Ich weiß nur noch, dass ich wenig später in einem sehr gemütlichen Ohrensessel saß, mein Gegenüber in erreichbarer Nähe. Wir haben uns oft im Gespräch kurz an den Händen berührt.
Es war so leicht, ins Gespräch zu kommen. Da war so viel gelebtes Leben, von dem ich erfahren durfte. Erinnerungen kamen hoch – ich war dankbare Abnehmerin. Wer wäre das nicht gewesen? Wir haben nicht mehr lange Zeit, mit denen zu sprechen, die noch einen Krieg erlebt und überlebt haben.
Dass ihr Mann sich in ihr Foto verliebt hat, hat sie erzählt. Da war sie 22 – und er war einer von den Deportierten, die im Arbeitslager auf der Zeche in Baracken lebten. „Die heirate ich mal“ hat er gesagt. Und das hat er vier Monate später wahr gemacht. Ihre Augen strahlen, als sie mir erzählt, dass sie 63 Jahre glücklich verheiratet war und dass ihr Mann 92 Jahre alt geworden ist. Sie hat ihn gepflegt, als er krank wurde. Natürlich blieb er bis zuletzt zuhause.
Bilder haben wir uns dann angeschaut und einmal entschuldigte sie sich: „Ach, jetzt bin ich auch eine von den Alten, die immerzu über ihre Vergangenheit reden.“ Ich glaube aber, sie hat es mir abgenommen, wie gern ich ihr zugehört habe.
Wir kamen von „Hölzchen auf Stöckchen“. Wie schnell war doch diese Stunde vorbei. Wir waren beide überrascht, als wir auf die Uhr schauten. Auf meine Frage, ob ich wiederkommen dürfe, kam ein freudiges „Ja, sehr gern!“
Wir haben dann noch gemeinsam gebetet. Ich hab unserem Vater gedankt für diese wunder-volle Begegnung, dafür, dass er bei uns war und wir eine so schöne Zeit miteinander hatten. Gebeten habe ich ihn noch, er möge sie in seine Arme nehmen, behüten und beschützen, bis wir uns wiedersehen. Und nachdem wir dann gemeinsam das Vater Unser gesprochen hatten, sah sie mich an und sagte nur noch: „Ach, was war das ein schönes Gebet.“
Was habe ich eigentlich gesagt, nachdem ich „Guten Tag“ gesagt habe? Ich weiß es wirklich nicht mehr. Aber eins weiß ich: Ich werde mich auch zukünftig einfach ganz auf meinen Vater im Himmel verlassen.

n Das Magazin kostenlos im Internet: www.amd-westfalen.de.