Hommage an die experimentierfreudige Künstlergruppe Clara Mosch, die in den 1970er- und 1980er-Jahren mit avantgardistischen Happenings und Ausstellungen frischen Wind in die DDR-Kunstszene brachte.
Der Name “Clara Mosch” klingt gut für eine Künstlerin, und glaubhaft dazu, wenn es darum geht, ihn bei engstirnigen Behörden anzumelden. In Wahrheit verbarg sich hinter Clara Mosch ein sächsisches DDR-Künstlerkollektiv. Die Bezeichnung war ein Akronym und setzte sich aus den Anfangsbuchstaben der Nachnamen der beteiligten Künstler zusammen. Anfangs taten die fünf – Michael Morgner, Thomas Ranft, Carlfriedrich Claus, Gregor-Torsten Schade (später: Kozik) und Dagmar Ranft-Schinke so, als ob Clara Mosch eine einzige Künstlerin sei und priesen sie bei den ahnungslosen SED-Funktionären als die angesagteste Frau nach Clara Zetkin und Rosa Luxemburg an.
Sie selbst betrachteten sich als eine Mischung aus “Dada, Dürer und Duchamp”. In der Kunstszene der DDR fungierten die fröhlichen Experimentalkünstler als Avantgarde; für die Kunstwächter der DDR aber waren sie Unruhestifter. Denn die fünf Maler, Grafiker und Bildhauer hatten mit dem staatlich verordneten sozialistischen Realismus wenig am Hut und traten für freie Kunst in einem Land ein, das seinen Künstlern gerne Vorschriften machte. Mit ihren spontanen Aktionen mischten sie den Kulturbetrieb der DDR auf.
Mehr als 40 Jahre nach der Auflösung der Gruppe, die von 1977 bis 1982 existierte, widmet die Regisseurin Sylvie Kürsten dem aufmüpfigen Künstlerkollektiv mit ihrem Dokumentarfilm “Go Clara go” eine Hommage. Vier der fünf – Claus verstarb bereits 1998 – sowie der Galerist Gunar Barthel erzählen über ihre gemeinsame Zeit in der DDR, über ausgelassene Kunstaktionen, aber auch über ihre Repression durch Staat und Stasi. Alle Mitglieder der Künstlergruppe lebten in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, der Hauptstadt des gleichnamigen DDR-Bezirks, die vor allem für ihre Textilproduktion und die Sportlerin Katarina Witt berühmt war.
Zu Beginn des Films sieht man in einem schwarz-weißen Archivfilm von 1971, wie die gewaltige Karl-Marx-Statue in einem Neubau-Komplex eingeweiht wurde. Erich Honecker persönlich hielt vor winkenden Pionieren und der lokalen Bevölkerung eine Rede. Sogenannte Kampftruppen der Arbeiterklasse verliehen der Veranstaltung einen (para-)militärischen Anstrich. Diese Art von öffentlicher Inszenierung und die Kunst, die sie in Form der Statue propagierte, standen für alles, was Clara Mosch ablehnte. Sie waren als Künstler der Meinung, dass es neben der staatstragenden Kunst noch andere, freiere und modernere Formen der Kreativität geben sollte. Sie verehrten moderne Maler wie Jackson Pollock, waren Individualisten, wussten aber, dass sie in einer Gruppe Schutz fanden.
Mit einem Kunstgriff personifiziert Regisseurin Sylvie Kürsten das Kollektiv Clara Mosch und macht es so greifbar. Sie inszeniert Clara Mosch als eine Frau mit Kopftuch, deren Gesicht verdeckt ist und die tanzend und in der Ich-Form erzählend durch den Film führt. Mit der Stimme der Schauspielerin Jule Böwe schildert die künstliche “Clara Mosch” den Werdegang der Gruppe, analysiert ihre Aktionen und ordnet sie historisch ein. Ein Fotograf namens Ralf-Rainer Wasse dokumentierte etliche Aktionen der fünf Künstler, womit sie für die Nachwelt erhalten blieben. Auch bewegte Super-8-Aufnahmen werden benutzt. Die Inszenierung alterniert zwischen den historischen Aufnahmen und gegenwärtigen Bildern der Künstler, die von damals berichten.
Die von Gunar Barthel in Karl-Marx-Stadt betriebene “Galerie oben” fungierte Ende der 1970er-Jahre als Schaufenster der Gruppe. Dort fanden ihre Ausstellungen statt, aber auch ausgefallene Performances und Happenings. Einmal veranstalteten zwei von ihnen eine öffentliche Barbiersitzung, dann wiederum gab es “Das schwarze Frühstück”, eine Performance, die vor verhüllten Fensterscheiben inszeniert wurde, wodurch das Publikum auf die Straße verbannt blieb. Zwar waren vier Mitglieder der Gruppe auch im Verband der Bildenden Künstler der DDR organisiert, doch derlei Mitgliedschaften waren zur Ausübung künstlerischer Berufe vonnöten, welche die Gruppe ja nachweislich außerhalb von staatlichen Vorgaben gestaltete.
Der Ruhm von Clara Mosch weitete sich indes immer mehr aus. Auch etablierte Künstler wie Christa und Gerhard Wolf und andere DDR-Größen oder angehende Stars wie der damals noch unbekannte Ulrich Mühe veranstalteten Lesungen und szenische Vorführungen in der “Galerie oben”. Oft ging Clara Mosch aber auch in die Natur, dem nach Thomas Ranft “größten Kunstgeber” überhaupt. Die Künstler arbeiteten mit natürlichen Elementen wie Steinen, Zweigen oder Baumstämmen. Holzgerippe in Form von Dreiecken oder Ovalen wurden am Ende der Aktionen zum Zwecke des größtmöglichen Effekts verbrannt – allerdings nicht vor Publikum.
Für ihre Pleinairs zog es Clara Mosch oft an die Ostsee, aber auch ins Erzgebirge, den Harz oder den Thüringer Wald. Ihre Aktionen waren verspielt, lustig und experimentierfreudig. Sie wollten ein “Land zwischen Routine und Resignation” wachrütteln. Die Kunstaktionen generierten für die Künstler allerdings kein Einkommen. Das erzielten sie durch den Verkauf ihrer Werke in freien Verkaufsgenossenschaften.
Fünf Jahre währte der avantgardistische Rausch zwischen Performances, Aktionen, Kaltnadelradierungen und kollektiven Malaktionen. Dann fiel die Gruppe auseinander, nicht zuletzt, weil sich die Mitglieder künstlerisch nicht mehr steigern konnten. Doch auch die Stasi mit ihren “zersetzenden Maßnahmen” säte Zwietracht. Dutzende von IMs waren auf Clara Mosch angesetzt. Als besonders eifriger Spitzel erwies sich ihr Hausfotograf Ralf-Rainer Wasse. Nach der Wende ergriff er die Flucht nach Kiel und verweigerte bis zu seinem Tod ein klärendes Gespräch. Die Ironie der Geschichte besteht allerdings darin, dass er durch seine künstlerisch und technisch durchaus hochwertigen Fotografien, von denen sich etliche auch in den Stasi-Akten wiederfanden, ein wertvolles Archiv von Clara Mosch geschaffen hat.
Während die einzelnen Mitglieder der Künstlergruppe nach der Wende mit den realkapitalistischen Gegebenheiten des bundesrepublikanischen Kunstmarktes haderten, erlebt Clara Mosch heute eine Art Renaissance. Sogar das namhafte Getty Museum in Los Angeles besitzt eine kostbare Clara-Mosch-Sammlung. Auch der gut dokumentierte, sehr unterhaltsame Film “Go Clara Go” sorgt dafür, dass die DDR-Avantgarde-Gruppe, die es schaffte, gegen alle Widerstände ihre Kunst auszuleben, nicht in Vergessenheit geraten wird.