Dem Evangelisten verschlägt es die Sprache. Der wortgewandte, überzeugungsstarke Torsten Hebel steht während der Veranstaltung „Jesus House“ 2007 in der Fischmarkthalle in Hamburg vor hunderten von Jugendlichen und ist innerlich am Nullpunkt. „Ich habe mich gefühlt wie ein Hochstapler, ein Betrüger“, erzählt er im Rückblick. Am Ziel seiner Träume als Starverkündiger des Evangeliums erkennt er: „Das ist es nicht. Das passt nicht zu mir. Es war tatsächlich nur ein Traum.“
Dieser Zweifel kam nicht über Nacht. Es ist eine Entwicklung. Äußerlich festmachen kann er seinen Zweifel am „Altar Call“, dem Nach-Vorne-Rufen derjenigen, die eine öffentliche Entscheidung für den Glauben treffen wollen. „Irgendwie empfand ich das Ganze als manipulativ.“ Steht das nicht im Widerspruch zur biblischen Botschaft, dass der Mensch gerade nichts zu seiner Errettung tun kann?
Tiefe Verwerfung im eigenen Glauben
Doch dieses tiefe Unbehagen ist nur Symptom einer tieferen Verwerfung im Glauben. Vieles von dem, was für Hebel einmal „felsenfest“ stand, bekam unaufhaltsam Risse. Der Glaube an Gott in der bisherigen Form funktionierte nicht mehr. Was er dann erlebt, nennt er eine „Häutung“. Seine Erfahrungen darüber hat er in dem Buch „Freischwimmer“ aufgeschrieben (SCM Hänssler 2015).
Zunächst ist es die Geschichte vom Heranwachsen in einer freikirchlichen Gemeinde. Es ist die Zeit erster Gotteserfahrungen. Ein vorgegebenes Gottesbild wird aufgenommen, unbewusst eingeatmet: Gott ist allmächtiger Schöpfer, der seine Kinder in ihrer Schwachheit als Sünder unverdient liebt und dennoch immer auf ihre Defizite zeigt. Es nistet sich ein Lebensgefühl ein, in dem die Zerrissenheit vorgezeichnet ist: Streng dich gefälligst an! Und: Egal, was du machst, es reicht nicht.
Nach einer theologischen Ausbildung und erfolgreichen beruflichen Stationen arbeitet Torsten Hebel freiberuflich als Evangelist und Buchautor. Bis ihm sein bisheriges Glaubensfundament unter den Füßen wegrutscht.
Nächster Schritt seiner Häutung ist die Arbeit im Jugendprojekt blu:boks des Blauen Kreuzes in einem Berliner Brennpunktviertel ab 2009. „Ich wollte weniger Worte benutzen, stattdessen Taten sprechen lassen“, schreibt Hebel. Doch nun wird er Tag für Tag mit den leidvollen Geschichten von Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Und diese Geschichten lassen ihn oft an Gott zweifeln: „Warum kommt Gott nicht zu den Kindern der blu:boks, wenn er sie angeblich so toll findet?“, fragt er. Ist der Glaube damit restlos abhandengekommen. Oder war da noch ein Funke?
Am Tiefpunkt zieht sich der Zweifler nicht in sich zurück, sondern sucht das Gespräch mit Freunden. Elf dieser Begegnungen hat er für sein Buch protokolliert. Eine gewisser Anklang an die Gespräche zwischen Hiob und seinen Freunden mag dabei im Hintergrund stehen. Der Unterschied ist: Die Gespräche führen Hebel – im Gegensatz zu Hiob – weiter, bringen neue Einsichten.
Frage nach Gottes Existenz ist müßig
Für die Theologin und Buchautorin Christina Brudereck ist die Frage, ob es Gott gibt, „nicht so wichtig“. „Das Einzige, was ich sehen kann, ist die Wirkung, die es hat, wenn ich an Gott glaube“, sagt sie. Sie baue auf die Weisheit: „Die Liebe ist stärker als der Tod“. Darauf werde sie nicht verzichten. Deshalb ist ihr das Doppelgebot der Liebe so wichtig. Und die Existenz der Liebe lasse den Rückschluss auf den, die oder das zu, was diese Liebe ins Leben gerufen hat. Hebel nimmt aus diesem Gespräch mit: Die Frage nach der Existenz Gottes ist müßig, denn es ist nichts beweisbar. Umso bedeutsamer ist der Blick auf die Ergebnisse. Auf das Wertvolle im Leben. „Auf die Liebe und deren Früchte.“
Der Rundfunkjournalist und Theologe Andreas Malessa unterstreicht: „Es gibt im Glauben keine Sicherheit, keine Beweise, keinen Vertrag. Was ich habe, ist certitudo (lat. Gewissheit), im Sinne von Zuversicht.“ Für Hebel geht das einher mit einem vorsichtigen, ja demütigen Umgang mit den eigenen Aussagen über Gott, über Dogmen und Wahrheiten, besonders in der Begegnung mit anderen. Und so ist jedes der elf Gespräche ein Zug voran auf dem Weg zum „Freischwimmen“. Gelassenheit kann auch der Gedanke schenken: Nicht ich suche Gott, er sucht mich zuerst.
Am Ende sind es Gedanken der Mystik in einem Buch von Richard Rohr (Pure Präsenz), die für eine neue Sicht des Glaubens sorgen. Gott ist nicht nur Person außerhalb von mir, erkennt Hebel. Alle Spaltung ist abgelegt. Gott durchdringt alles. Oder wie Paulus es sagt: „Denn in ihm leben, weben und sind wir“ (Apostelgeschichte 17,28). „Ich bin keine isolierte Idee in einem Universum, sondern ich bin seine Idee, und er atmet durch mich und in mir.“ Der ‚Ich bin, der ich bin‘ (hebr. JHWH) kommt seinen Geschöpfen unendlich nahe. Mit jedem Atemzug. An die Leserinnen und Leser gewandt: „Und Sie sind, wer Sie sind, denn Sie sind ein Ebenbild Gottes.“