Mit seiner Anordnung, in allen bayerischen Amtsstuben Kreuze aufhängen zu lassen, hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder eine bundesweite Debatte ausgelöst. Auch innerkirchlich ist die Entscheidung umstritten – sowohl im katholischen wie im evangelischen Bereich (siehe UK 19/2018). Die Kritiker befürchten einerseits eine Entwertung der religiösen Bedeutung des Kreuzes, andererseits eine Spaltung der Gesellschaft durch die Ausgrenzung nicht-christlicher Bürgerinnen und Bürger. Die Grundfrage ist: Welche Art Symbol ist das Kreuz? Ein ausschließlich religiöses oder ein kulturelles? Oder ist es gar ein politisches Herrschaftszeichen? Unser Autor ist der Geschichte des Zeichens nachgegangen.
Kreuze als Symbole für christlichen Glauben und europäische Kultur. Kreuze als politische Herrschaftszeichen. Und Kreuze als Provokation in einer säkularer werdenden Gesellschaft. Der Streit um das wohl bedeutendste Symbol der Christenheit ist nicht neu. Immer wieder mal lebt er auf.
„Das Kreuz ist in der Tat beides: religiöses Kernsymbol und politisches Herrschaftszeichen“, erklärt der Salzburger katholische Theologieprofessor Hans-Joachim Sander in der „Frankfurter Rundschau“. Und der Münchner evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Geschichte der diversen Christentümer ist reich an Versuchen, christliche Symbole politisch zu verzwecken“. Vor der Schlacht an der milvischen Brücke im Jahr 312 soll, so Graf weiter, Kaiser Konstantin eine Vision zuteil geworden sein: „In diesem Zeichen wirst du siegen.“
Zunächst aber war das Kreuz bei den Römern als Hinrichtungsinstrument Ausdruck brutaler imperialer Macht. Erst durch den christlichen Glauben ist es in die Sphäre der Religion gerückt.
Der Blick auf das Kreuz hat sich im Verlauf der Geschichte immer wieder verändert. Es war Zankap-fel zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft, ja sogar zwischen den Konfessionen.
Für die frühen Christen war es wohl noch zu anrüchig; sie nutzten eher den Fisch und das Christus-Monogramm XP als Erkennungszeichen. Erst durch das Konzil von Ephesos im Jahr 431 nach Christus wurde das Kreuz offiziell als christliches Zeichen eingeführt.
Auch seine Aussage änderte sich immer wieder: Ab dem 13. Jahrhundert wurde nicht mehr der triumphierende, den Tod besiegende Christus dargestellt, sondern der leidende Christus in den Vordergrund gerückt. Der Gekreuzigte wurde wichtiger als das Kreuz selbst.
Manche Kirchen kommen ganz ohne Kreuz aus
Das änderte sich wieder im Zeichen von Reformation und Gegenreformation im 16. Jahrhundert. In manchen protestantischen Regionen wurden Kreuze aus Kirchen entfernt, Wegekreuze zerstört und das Kreuzzeichen abgeschafft. Es sei Gotteslästerung, Kreuzesreliquien zu verehren oder sich vom Kreuzzeichen „magische Hilfe“ zu erwarten, wandten sich protestantische Prediger gegen „abergläu-bische Praktiken“. Bis heute gibt es reformierte Kirchen, etwa im Siegerland, in denen kein Kreuz zu finden ist.
Eine solche Ablehnung des Kreuzsymbols veranlasste die Katholiken dazu, den Kreuzeskult erst recht neu zu beleben: Allerorten entstanden in katholischen Regionen dem Kreuz geweihte Kirchen und Kapellen sowie Wegekreuze und Bilder. Das Kreuz als Symbol katholischer Macht: Kein Wunder, dass nicht mehr der leidende Christus im Vordergrund stand, sondern der triumphierende.
Trotz allen gelehrten Streits aber seien sich katholische wie protestantische Theologen seit 1800 darin einig, dass der Gekreuzigte ein neues, gegenüber anderen Religionen eigenständiges Verständnis Gottes symbolisiert, meint Friedrich Wilhelm Graf.
Katholiken wehrten sich gegen Nazi-Anordnung
Politischen Streit löste das Kreuz auch zur Zeit des Nationalsozialismus aus – vor allem beim sogenannten Oldenburger Kreuzkampf. Im November 1936 ordnete das NS-Schulministerium an, die Kreuze aus den Schulen des stark katholisch geprägten Oldenburger Münsterlandes zu entfernen.
Trotz Diktatur formierte sich binnen weniger Tage eine große katholische Protestbewegung. Gläubige verschickten Protestschreiben. Mehrere Bürgermeister und viele Lehrer weigerten sich, die Kreuze abzuhängen. Selbst Gruppen verschiedener NSDAP-Unterorganisationen erschienen nicht zum Dienst. Die Glocken läuteten täglich, manchmal auch die Not- oder Brandglocke. An Kirchtürmen wurden große, leuchtende Kreuze angebracht. Schließlich nahmen die Nationalsozialisten den Erlass zurück.
Heutzutage, in einer immer säkularer und multireligiöser werdenden Gesellschaft, sind neue Konfliktlinien dazugekommen. Nicht-Christen klagen vor Gerichten gegen Kreuze in Gerichtssälen und Klassenzimmern.
1995 etwa erklärte das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage von Eltern Teile der Bayerischen Volksschulordnung von 1983 für verfassungswidrig und nichtig, nach denen in jedem Klassenzimmer der Volksschulen in Bayern ein Kruzifix oder zumindest ein Lateinisches Kreuz anzubringen war. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit und die staatliche Neutralitätspflicht, befanden die Karlsruher Richter. Der Landtag beschloss daraufhin ein Gesetz, demzufolge Kreuze zwar vorgeschrieben sind, sie aber entfernt werden müssen, wenn das – etwa von Eltern – explizit gefordert wird.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich bereits mit dem Thema befasst. 2009 entschied er, dass Kreuze in Klassenzimmern gegen die Religionsfreiheit verstießen. Die Richter gaben damit einer Italienerin Recht. 2011 allerdings revidierte die Große Kammer des Gerichtshofs dieses Urteil der Kleinen Kammer und entschied, dass Kreuze in italienischen Klassenzimmern hängen dürfen.
Aktuelles deutsches Beispiel für den Streit ums Kreuz – neben den Debatten um bayerische Amtsstuben – ist das geplante Kuppelkreuz auf dem Humboldt Forum im Berliner Schloss. Es führte zu heftigen Debatten über die christliche Prägung und Tradition der Gesellschaft.
Die Konfliktlinien im neuen bayrischen Kreuzstreit aber dürften wohl historisch einmalig sein: Dass der Staat in Person von Ministerpräsident Markus Söder die Aufhängung von Kreuzen in staatlichen Gebäuden anordnet und sich die Kirchen dagegen wenden, ist eine Ironie der Geschichte.
Neue Konfliktlinien im aktuellen Streit in Bayern
Allerdings: Die Kirchen sind nicht gegen das Kreuz, sondern gegen seine Vereinnahmung für politische Zwecke. Der Ministerpräsident habe das Symbol menschlicher Ohnmacht als „Zeichen staatlicher Macht, ja sogar als persönlichen Macht-Gestus“ missbraucht, so bringt es der katholische Professor Hans-Joachim Sander auf den Punkt. „Mit dem Kreuzsymbol als Ausdruck einer angeblich christlichen Macht drängt er andere Religionsgemeinschaften und deren Gläubige, aber auch Nicht-Gläubige an den Rand.“